Siegbert S. Prawer

Germanist
Geboren 15.2.1925
Gestorben 5.4.2012
Mitglied seit 1989

Friedrich-Gundolf-Preis

»O Wort, du Wort, das mir fehlt...«

Lieber Herr Heckmann, liebe Freunde und Kollegen, meine Damen und Herren,

in Deutschland geboren, als Kind vom Nazionalsozialismus vertrieben und in England gastfreundlich aufgenommen, suchte ich meinem Adoptivland nach Studium an der Universität Cambridge (wo der heute erfreulicherweise anwesende Professor Dr. Leonard Forster zu meinen Lehrern zählte), als Dozent zu dienen, der in ständigem Dialog mit seinen Studenten die deutsche Literatur in welthistorischer Perspektive zu sehen und besonders Vergleichungen und Kontraste mit britischen Literaturtraditionen zu fördern suchte. Im Verlauf einer Lehrtätigkeit, die sich von Zeit zu Zeit auf Nordamerika, Deutschland, Neuseeland und Australien ausdehnte, bemühte ich mich – aus wohl verständlichen Gründen –, neben den obligaten Klassikern (von denen mich vor allem Mörike anzog) – vom Nationalsozialismus verfemte Komponenten der deutschen Kultur sachgerecht darzustellen und zu beurteilen. Dann aber erlebte ich an mir selbst, was meine Schüler und ich bei Diskussionen über Hofmannsthal oft von weitem ins Auge gefaßt hatten: eine Gemütskrise, inmitten derer die Begriffe sich von den Worten lösen, Generalisierungen »wie modrige Pilze« zerfallen und nur ein Chaos von Beobachtungsdetails übrig lassen, in denen der liebe Gott keineswegs zu wohnen scheint.

Die im diesjährigen Symposium geforderte Identität von Person und Rede ging ebenso in die Brüche wie die von Person und Schreibe (wenn man das so sagen darf): was ich öffentlich redete, hörte ich, was ich schrieb und drucken ließ, las ich, mit immer tieferem Gefühl des Unzulänglichen. In dieser Not besann ich mich auf eine nicht-verbale Ausdrucksmöglichkeit, auf die Ludwig Meidner mich vor vielen Jahren ohne nennenswertes Resultat hingewiesen hatte: das Hantieren mit dem Zeichenstift. Im Alter von 61 Jahren ließ ich mich daher in Oxford emeritieren, gab meine Mitarbeit am Londoner Times Literary Supplement auf, legte mein Amt als Präsident der British Comparative Literature Association in andere Hände und übe mich vorerst einmal – mit Ergebnissen, die nicht allen Betroffenen gleich willkommen sind – im Zeichnen von Porträts.
Glücklicherweise hat mir die noch immer andauernde Unmöglichkeit zu dozieren und zu schreiben keineswegs die Lust am Lesen und Zuhören geraubt; ich freue mich daher über meine Aufnahme in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung und hoffe auf Ihr Verständnis, wenn ich den Herausgebern des nächsten Jahrbuchs statt dieses prädestiniert vergeblichen Versuchs einer verbalen Selbstvorstellung eine kleine Skizze – ein graphisches Selbstporträt also – zur Veröffentlichung antrage.
Dies läßt sich um so eher verantworten, als ich ja schon vor nicht allzu langer Zeit (vgl. Jahrbuch 1986, S. 47-51; – Anm. d. Red.) bei Verleihung des Gundolfpreises einer Akademie vorgestellt wurde, der ich nun als Mitglied angehören darf – eine Ehre, die ich auch in Chandosnöten noch sehr wohl zu schätzen weiß, und für die ich Ihnen allen, liebe Freunde und Kollegen, nicht nur, weil’s so üblich ist, sondern recht von Herzen danke.