Susanne Lange

Übersetzerin
Geboren 5.7.1964
Mitglied seit 2014

Johann-Heinrich-Voß-Preis

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitglieder der Akademie und der schreibenden Zunft:

Wie leicht haben es doch die fahrenden Ritter, wenn sie sich vorstellen müssen. Sie können einfach ihren Knappen vorschicken, der sich dann etwa mit folgenden Worten für sie ins Zeug legt: »Schöne Damen, werte Herren, da hinten sitzt eine der fahrenden Zunft, die mich schickt, um Euren Erlauchtigkeiten zu sagen, Sie mögen ihr gnädigst gestatten, ihren Wunsch ins Werk zu setzen, der kein anderer ist, als Euren erhabenen Holdschaften zu dienen. Das wäre ihr eine gehörige Gnade und Freude.«
Aber da inzwischen Knappheit an Knappen herrscht, muss ich wohl selbst in die Bresche springen. Gar nicht so einfach für jemanden, der hauptsächlich damit zu tun hat, sich in die verschiedensten Figuren, Autoren und Stilarten hineinzuübersetzen. Das kann verwirrend sein. Bei Antonin Artaud, der als Psychotherapie Lewis Carrolls Nonsens-Gedicht »Jabberwocky« übersetzen sollte, ging es so weit, dass er am Ende glaubte, der Originalautor habe vorausgreifend den Übersetzer plagiiert. Ein Wahn, dem ich noch nicht erlegen bin.
Fangen wir weiter hinten an: Im Grunde war der Mauerfall schuld. 1992 hätte die Sowjetunion Gastland der Buchmesse sein sollen, aber die gab es auf einmal nicht mehr, und beherzt bot sich, mit seinem Talent zur Improvisation, Mexiko an. So kam es, dass ein über 800 Seiten dicker Roman auf Deutsch veröffentlicht wurde, Fernando del Pasos Palinurus von Mexiko, in dessen Übersetzung ich mich Hals über Kopf und ohne Verlag gestürzt hatte. Das war während meines Studiums in Paris geschehen, wohin ich gegangen war, um mich mit lateinamerikanischen Autoren zu beschäftigen, die noch nicht ins Deutsche übersetzt worden waren. (Das Spanische hatte ich mir zuvor lesend mit Wörterbuch angeeignet, weil mich so interessierte, was für Bücher da noch nicht im Deutschen angekommen waren.) An Fernando del Pasos Roman hatte mich verführt, dass jedes Kapitel in einem anderen Stil und Genre verfasst ist, enzyklopädische Reihungen wechseln sich mit burlesken und tragischen Szenen ab, es gibt sogar eine Höllenfahrt in die Tiefen der Werbeagenturen. Unwillkürlich drängte es mich, diese teils surrealistischen Stilkaskaden im Deutschen auszuprobieren, und auf einmal reihte sich ein Kapitel ans andere. Ich bin also ins Übersetzen mit der Naivität und unbeirrbaren Zuversicht eines fahrenden Ritters hineingeritten, der arglos glaubt, er sei Übersetzer und könne einen Roman auf Deutsch durch die Lande ziehen lassen, vor dessen Umfang und unbekanntem Verfasser die Verlage zurückschreckten. Doch manchmal ist selbst den naivsten fahrenden Rittern das Schicksal gewogen. Die Mauer fiel, und die Bahn war frei für Mexiko und Palinurus.
Danach hatte mich mein Weg vor allem nach Lateinamerika geführt, etwa nach Bogotá – wo ich an der Universidad de los Andes einige Jahre lang Seminare zur deutschen Literatur gab –, ebenso nach Mexiko, Buenos Aires, Havanna. Von überall bin ich mit Büchern im Schlepptau zurückgekehrt, mit Autoren wie Juan Rulfo, Octavio Paz, Juan Gabriel Vásquez, Yuri Herrera, Lydia Cabrera, habe jedoch bald gemerkt, dass ich mich über den Umweg der Ferne nur umso tiefer in die deutsche Sprache verstrickte, ihr durch das Übersetzen etwas zu entlocken versuchte, was ihr nicht auf der Zunge lag, also von außen, wie man mit Walter Benjamin sagen könnte, in den Bergwald der Sprache hineinrief. (Deshalb scheint es mir auch seltsam angemessen, mich ausgerechnet im Ausland, in London, der Deutschen Akademie vorstellen zu können.)
Nach diesem langen Umweg über Lateinamerika bin ich am Ende in Spanien gelandet, bei Luis Cernuda und García Lorca etwa, ja bin schließlich noch weiter zurückgegangen, bis zu den Wurzeln des modernen Romans, zum Don Quijote. Kolumbus war, als er über den amerikanischen Kontinent stolperte, in Lateinamerika auf die phantastische Welt der Ritterbücher gestoßen. Eben daher kam ich nun gerade und konnte umso besser durch die Welt in Don Quijotes Kopf reisen. Aber vielleicht hatte ich schon seit Längerem Anlauf zum Ritter von der traurigen Gestalt genommen und kann den Bogen noch weiter zurück schlagen. Vor einiger Zeit fiel mir ein Kindheitsfoto in die Hände: Wenige Monate alt blicke ich auf meinen zweijährigen Bruder, der in eine Trompete stößt, und über mir an der Wand in der Berliner Wohnung hängt Picassos Quijote-Bild.
Einen großen Bogen konnte ich bei der Don Quijote-Übersetzung jedenfalls sprachlich schlagen – und das war das größte Privileg –, ich durfte durch die deutsche Sprache reisen, von Luther und Fischart bis in die Gegenwart aufgabeln, was den sprachlichen Kosmos von Don Quijote und Sancho Panza heute im Deutschen bilden könnte. Was ich aus dem Brunnen der Sprache geangelt habe, werde ich hoffentlich weitertragen und hinterrücks wieder in die heutige Sprache und Dichtung einschmuggeln können (und mich vielleicht auf diese Weise, durch das Bearbeiten des Deutschen von außen wie innen, für die Aufnahme in diese Akademie erkenntlich zeigen).
Seinem Ritter möchte Cervantes besondere Ehre zuteilwerden lassen, indem er ihm am Ende des 1. Bandes ausgerechnet von den Mitgliedern einer gewissen Akademie von Argamasilla bedichten lässt. Die Mitglieder tragen so schöne Namen wie Manikongo, Buschschlaraffe, Bartstreicher, Neufündler, Trügewicht oder Affenteufel (ich weiß nicht, ob Cervantes auf gutem Fuß mit Akademiemitgliedern stand), und sie spenden Don Quijote etwas zweifelhafte Komplimente, nennen ihn einen »verfahrenen Ritter« und »kahles Madenhirn«.
Wenn ich an den Eintritt in eine Akademie denke, kommt mir aber eher ein anderer Musenort in den Sinn, den Cervantes ebenfalls bedichtet, in seinem Versepos Viaje del Parnaso, seiner »Reise zum Parnass«. Auf dieser Reise versammeln sich die trefflichen Dichter, leisten sich wilde Scharmützel und geraten in die kuriosesten Handgemenge. Dabei bombardieren sie sich aufs Schönste und zwar mit dem gedruckten Wort. Da segeln Bücher in Prosa und in Versen durch die Luft, eine Handvoll Oden setzt gleich vier Reihen außer Gefecht, Heftchen wie Prachtbände pfeifen ihnen um die Ohren, und es heißt: »Duckt euch, da kommt eine Novelle angeflogen«. Eben so stelle ich mir die angeregten Diskussionen dieser Akademie vor. Und ich muss sagen: ich kann es kaum erwarten.
Herzlichen Dank für die Zuwahl und Ihre Aufmerksamkeit.