Cécile Wajsbrot

Schriftstellerin und Übersetzerin
Geboren 21.7.1954
Mitglied seit 2017

Sich vorstellen. Sich eine Vorstellung machen – eine Vorstellung von sich selbst. Hallo, ich stelle mich vor und heiße so und so. Sich einen Namen geben. A name, what’s in a name? Vielleicht klingt es hier seltsam, aber mein Name ist für Franzosen ziemlich schwer auszusprechen. Die Reihenfolge der Konsonanten j, s, b, r ist ungewöhnlich, und man weiß nie, was davon zu halten ist. Meine Mutter hatte eine französische Variante gefunden, etwas wie »wesbro«, und jahrelang übernahm ich diese Aussprache, bis ich ziemlich spät bemerkte, dass die Schreibweise und die Aussprache nicht übereinstimmen. Diese Entdeckung war so erschütternd, dass ich nicht mehr wusste, wie ich den eigenen Namen aussprechen sollte. In dieser Zeit suchte ich auch Arbeit – Übersetzungen, Zeitungsartikel – Internet und E­Mails existierten noch nicht, so dass ich oft telefonieren und mich am Telefon vorstellen musste. Meine Verlegenheit ging so tief, dass ich den Moment, in dem ich meinen Namen sagte, immer wieder verschob. In der Tat wartete ich so lange, bis ich nach meinem Namen gefragt wurde. Wie lang hat dieser Zustand gedauert? Ein Jahr oder mehr. Bis zu dem Tag, an dem mir plötzlich einfiel: Im Lateinunterricht hatten sie damals versucht eine restaurierte Aussprache einzuführen, warum sollte ich nicht eine restaurierte Aussprache zu meinem Namen suchen? Den Namen deutsch aussprechen? Weißbrot.
»What’s in a name?«, fragt Juliet. »Tis but thy name that is my enemy.« Der Name und das Wesen unterscheiden sich, so will es Juliet glauben. Der Name Montague hat mit Romeo nichts zu tun, hat mit der Liebe zwischen Romeo und Juliet nichts zu tun, und Romeo nimmt ihren Blick an, »Call me but love«. Ein Name bedeutet nichts, ist nur wie der Einbruch der Gesellschaft in das individuelle Bewusstsein. Mit dem Namen übernehmen wir die Regeln des kollektiven Lebens, übernehmen wir die Familiengeschichte – das heißt das Erbe. Aber – was die Tragödie zeigt – einem Namen kann man nicht entfliehen.
Darf ich es bekennen? Das Problematische in meinem Namen war der Buchstabe J, also J wie je, wie ich, J wie jüdisch. Sollte ich einen Roman ohne J schreiben – wie Perec damals ohne E? In den Jahren, in denen ich meinen Namen nicht sagen konnte, hatte ich sicher den Blick der Gesellschaft auf meine Herkunft, auf die Geschichte der Zerstörung, verinnerlicht, und so erlebte ich den Widerspruch zwischen der Außenwelt und der Innenwelt, ohne eine Brücke schlagen zu können ... Wer war ich? Mit dem Stolpern über die Aussprache stolperte ich über die Identität. Und wer weiß, ob ich nicht zum Schreiben gekommen bin, weil ich meinen Namen lieber nur schreiben wollte, anstatt ihn auszusprechen.
In dem Roman Perceval von Chrétien de Troyes gibt es eine berühmte Szene, in der Perceval in einer Burg bei einem Gastmahl eine Prozession sieht und sich fragt, was das Ganze bedeutet, ohne es zu wagen, die Frage laut zu stellen. Am nächsten Tag wirkt die Burg ganz leer. Perceval denkt, die Diener sind vielleicht in den Wald gegangen, und er reitet weiter. Im Wald trifft er eine Jungfrau, erzählt ihr die merkwürdige Geschichte. Die Jungfrau fragt: »Wie heißen Sie, mein Freund?« Auch das ist schon bemerkenswert. Aber der Kommentar noch mehr ... Et lui, qui son nom ne savait, soudain le connut et lui dit que c’est Perceval le Gallois. Er, der bis jetzt seinen Namen nicht wusste, kannte ihn plötzlich und sagte, Perceval der Walliser. Durch das erste Scheitern, das Perceval erlebt, lernt er auch sich selbst kennen. Der erste Schritt ist, den eigenen Namen zu sagen – ihn anzunehmen. Sich zu definieren, sich von den anderen zu unterscheiden. Und dann kommt die Aufgabe – das Schweigen und seine Folgen zu heilen, mit dem Erzählen zu beginnen.