Oskar Pastior

Schriftsteller und Lyriker
Geboren 20.10.1927
Gestorben 4.10.2006
Mitglied seit 1989

Georg-Büchner-Preis

In der Vorstellung, mich – oder gar mich mir – vorzustellen, mischt bereits diese Wörtlichkeit, »etwas hätte sich da, womöglich schützend, vor etwas anderes zu stellen«, mit; die ihren Willen hat; vor den ich mich nun stelle. Unter Hintanstellung solch retardierender Momente tritt das Gesagte hinter dem noch nicht Gesagten zurück. Wo Text entsteht, schieben Auge und Ohr ihn weiter. Am Defizit, das sie dabei erzeugen, hangeln sich beide entlang, stereo, das ist der Abfall des Auges vom Licht und der Abfall des Ohres von der Akustik – niederländische Gepflogenheiten. Ich möge mich Ihnen fünf Minutenlang vorstellen. Krause Gedankengänge aus den Gehörgängen einer weitaus längeren Schreibzeit, hinter der ich stehe, schieben sich in die Vorstellung, Sie, verehrte Damen und Herren, könnten »mich« für »wahr« nehmen – oder fürwahr für das Schilderhaus an irgendeinem Grenzbaum zum Schinderhannes; eine Lesart, die ins Geheimverlies der Poesie gehört, wo sich die Grenzgänger treffen. Dies Schmuggelgut etwa verdank ich Friederike Mayröcker. Mit den Vorgaben sind uns die Wörter gleich aus der Hand genommen. Drei bis vier Parameter – und die Konstruktion fällt zusammen. Am Skandal des Anfangs (das ist der Lärm, der da entsteht) brechen sich die Zähne ihre Buchstaben aus, sechsundzwanzig an der Zahl, bei uns; und ich weiß nicht, wo der Text beginnt. Hätte der Lebenslauf ein Vokabular in dem sich nichts wiederholt, käme es nur auf die Niederschrift der Reihenfolge an, ginge nichts flöten dabei, könnten die Roßtäuscher dicht machen, wäre ich einer von ihnen. Vor Stilisierung hilft nicht mal der Irrealis. Was, wenn dann das farblose »und«, wiederholte es sich doch, grell und bunt zum ersten Fremdkörper würde – und damit zum letzten Wort? Wo Muttersprache im Geruch von Brosamen steht, stelle ich mir vor, läuft der Text auf Abspeisung hinaus. Mit dem Vaterland kommt es zum Prozeß. Nachher ist Guttapercha im Schuh. Mutwillig (d. h. wie in jedem Text, der mir näher ist als Hämoglobin) ergäbe das ein Pfund läuseknackender Busen mit Stechnadeln und Anfechtung. Gedämpft wird anderswo (Klammer: gestorben). Dazugehört wird hier. Ein Jahrfünft im Donbas, lesend – wer? Beziehungsweise – was? Mach Ernst, mach mach, mach Überschall, Vitello Tubs. Lenins Abrechnung galt mir, dem Involvierten; der trotzdem seither nie genau begriffen hat, was Ismen sind (Empiriokritizismus!) und wie sich Macht und Ohnmacht im Auseinanderlaufen des Sprachkörpers in Machtkörpern zueinander verhalten. Uneinsichtig hungernd wider die bessere Wahrscheinlichkeit freilich, all die Begriffe, und die Stammsilbe könnte von Chlebnikov sein. Ein Organ, das dumm die Welt ist, die es sich ertastet, aber gewitzt (siehe Überschall, Bauernschläue, Stülpnagel) noch vor der Erkenntnis das Wissen hinter sich gelassen. Was ist das nun? Im Dampfkessel der Einzelfall. Wenn es Grammatik gibt, dann hier. Ach, die Populärwissenschaft. Die heillose Zerfransung, der Rückfall in die Chance. Mai 1968. Aus Bukarest, über Wien gekommen, von Internationes sozusagen »mit dem Fahrstuhl in die Frühjahrstagung« nach Saarbrücken »gebeamt«; nun also als Schnuppergast bei den Herren von Sprache und Dichtung. Du bist noch nicht wach! – auch so ein erster Tag, selbst wenn er inzwischen gute zwanzig Jahre dauert und sich als Anekdote unverdient erzählen läßt wie ein Statement, etwa, zu anderen Dingen wie »Heimat«, »Sprache« oder gar »Exil«. Mißverständnisse, für die ich mich rechtfertige, indem ich mißverständlich schreibe. Man könnte sagen, Übergriffen des Begriffs, dem ich gewiß nicht überlegen bin, begegne ich mit einem Kraut für das noch nichts gewachsen ist. Ausflucht ins Einbezügliche vielleicht, ein fremdes Territorium auf eigenem Gebiet, eben ein Irrtum. Die Vorgabe, mich hier in einem Limit vorzustellen, ist beruhigend arbiträr. Ich könnte zappeln wie ich will – Vorstellung ist Vorstellung. Komm, du bist nicht wach. Deine Kondition ist List und Sägemehl – die ungarische Variante des Abfalls. Nur, wenn ich mich in einem weitaus längeren Zusammenhang nun zappeln höre, stellt sich die Chose (causa, das öffentlich Verhandelte) so und nicht anders dar: »da steht es und das ist es« (Zitat Gisela Lindemann). Ich stelle mir wie Ihnen vor: eine Sprachverfassung, in der die Not »sich vorzustellen« aufgehoben wäre in der Wörtlichkeit von Namen. Stelle mir einfach vor: ich trüge meinen Namen nicht, ich werkelte an ihm – meinetwegen zirka fünf Minuten hier, in einer nun doch etwas ausgefransten Sprachgeschichte.