Fritz Rudolf Fries

Schriftsteller und Übersetzer
Geboren 19.5.1935
Gestorben 17.12.2014
Mitglied von 1992 bis 1996

Mir – meine sehr verehrten Damen und Herren des Hohen Hauses – wäre es lieber gewesen, Sie hätten die eine oder andere Figur meiner Bücher statt meiner gewählt und ihr die akademische Würde angetragen. Vorschlagen möchte ich etwa den Philologen Dr. Alexander Retard, einst wissenschaftlicher Mitarbeiter einer Ostberliner Akademie; oder seinen Kollegen Ole Knut Berlinguer, der gewisser Oppositionen wegen, und im Grunde gegen seinen Willen, aus der Bahn eines Wissenschaftlers geworfen wurde und als freischaffender Übersetzer und Dolmetscher irgendwo im tiefsten Afrika unterging. Oder nehmen Sie einen Mann wie Franz Xaver Stannebein, einen Erfinder von Luftschiffen, die sich allenfalls in die Metapher erheben, das heißt ohne die Finanzierung kapitalkräftiger Interessenten nur den blauen Äther erreichen, in welchem wir Deutsche, nach Heine, wenn wir unsere Federbetten verlassen, am bequemsten zu Hause sind. Aber was biete ich Ihnen hier für Figuren an? Einen Berliner Hugenotten, den die Wende vogelfrei gemacht hat; sodann einen Wahlberliner sephardischer Herkunft, dem seine Mutter im Prag der dreißiger Jahre das Leben retten konnte. Dazu einen sächsischen Erfinder, den der Erzähler seinen Großvater nennt und der im Irrenhaus endet, womit der Autor im engeren Familienkreis einen mittleren Skandal auslöst; denn dieser Erzähler ist immerzu bemüht, die Figuren seines Bekanntenkreises wie seine eigene Biographie zu korrigieren, als korrigierte er so deren und seine Fortune.

Verglichen mit seinen Helden bietet des Autors Lebenslauf nur Allgemeinplätze und dazu jene deutsche Wanderlust in den Süden. Mein Großvater, von dem oben die Rede war, wanderte um 1900 aus Leipzig ins baskische Bilbao. Mein Vater, in Karlsruhe geboren, wollte nach Amerika, aber das Reisegeld reichte nur bis Spanien. Ich bin der Profiteur dieser von Politik und Inflation, vielleicht auch von Karl May und den panegyrischen Biographien Ludwig Pfandls über Karl V. und Philipp II., die mein Vater so gern las, genährten Sehnsüchte. Aber ich muß auch mit den Brüchen umgehen, die mir dieser Nachlaß hinterläßt, etwa das Spanische, das sich im Bild meiner Großmutter ins Baskische überträgt und verdunkelt. Für das Kind sind es beinahe lautlose Sprachen, denn die Großmutter, während meiner Leipziger Schulzeit gegen ihren Willen heim ins Reich geholt, lernte kein Wort Deutsch. So wird das Spanische zur Geheimsprache, die in der Familie die anderen, Schulfreunde wie Hausbewohner, ausschließt. Von daher meine Zuneigung zur Kehrseite der Wörter. Freilich drückte das Spanische meiner Großmutter wohl nur ihre Empfindungen von Leid und Erinnerung aus.

Ich verdanke meinem Lehrer, dem Romanisten Werner Krauss, aus dieser Esoterik eines Familiencodes hinausgefunden zu haben in die Philologie, wo sich Geschichte immer nur interpretieren, aber durch kein Heilsversprechen veredeln noch beenden läßt. Die sich aus diesen Mischungen und Widersprüchen ergebenden Geschichten zog ich 1966 zu einem Roman zusammen, der mich, als ihn die DDR zur Konterbande erklärte, die Anstellung eines Assistenten an der Akademie der Wissenschaften zu Ostberlin kostete. Sie kostete mich nicht das Interesse meines Lehrers Werner Krauss, der im gleichen Jahr sein Institut für deutsch-französische Aufklärung einem Beamten hinterließ. Die Jahre darauf sind die eines Rückzugs, auch wenn sie wie ein Rückzug ins Jean Paulsche Lerchennest aussehen könnten. Der ausgewiesene Adept der Wissenschaften streitet da mit dem Übersetzer spanischer und lateinamerikanischer Literatur, und dieser mit dem Schriftsteller, und alle drei ducken sich vor der Observation des Staates und schließen ihre Kompromisse in der Hoffnung, so die verschlüsselte Botschaft ihrer Bücher gleich oder in hundert Jahren unter die Leute bringen zu können. Die inneren Emigranten sind immer anmaßend, die Exilanten dagegen oft im Recht dank einer blasser werdenden Erinnerung.

Eine Figur meines ersten Romans, die nicht zufällig den Namen Arlecq trägt, aus einer spanisch tradierten Commedia dell’ Arte, proklamierte diesen Rückzug vor 25 Jahren. Ich darf ihn zitieren:

Arlecq, an seinem Schreibtisch, notierte sich nichtgelebte Biographien, um zu sehen, was dann noch übrig bliebe. Also: keine psychologischen Konflikte großen Stils. Die Generationsfrage hatte den Krieg nicht überdauert. Wo gab es den jungen Mann, der sich bildend die Welt bereist. Die jähen Untiefen der Liebe. Die Große Metaphysische Frage. Der Klassenkampf. Der Sturm auf die Barrikaden. Die Apotheose der Fortschrittsgläubigkeit. Und er hat nicht für umsonst sein Leben gegeben ... Was blieb, ließ sich zu Papier bringen. Geburtsurkunde, Meldelisten, Polizeikarteien, Ausweise, Mitgliederkarten, Lesekarten, eine Examensbescheinigung, eine Eintragung auf dem Finanzamt zwecks Steuerklassifizierung ... Erst die Krankengeschichten gaben Profil. Die ärztliche Diagnose, das gab Charakter, das Röntgenbild war verläßlich, der Rhythmus des Pulsschlags ordnete die Lebensmelodie, die Fieberkurve war eine seelische Startbahn ...

Im Schreiben stabilisiert sich bekanntlich die Gesundheit und es lassen sich die Widersprüche aufheben und deuten. Die Aufhebung der Gegensätze mag dann schon eine öffentliche Angelegenheit sein, für die ich keine bessere Repräsentanz wüßte als dieses Haus. Auch deshalb danke ich Ihnen sehr herzlich dafür, daß ich ein Mitglied werden durfte der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung.