Germanistin
Geboren 4.2.1967
Mitglied seit 2023
Gisela Holfter
Sehr geehrte Damen und Herren!
Haben Sie herzlichen Dank, dass Sie mich eingeladen haben, Mitglied dieser Akademie zu werden, und dass Sie mir nun zuhören wollen, vermutlich auch, um mehr darüber zu erfahren, wer nun zu Ihnen stößt.
Nun, ich komme aus dem von hier nur ca. 70 km entfernten Bensberg, einem Ort, den es offiziell schon seit 1973 nicht mehr gibt. Das hindert mich nicht, bis heute sämtliche Karten und Briefe nach Hause genau dorthin zu adressieren. Allerdings komme ich jetzt aus meinem anderen Zuhause, Limerick, in Irland, wo ich seit nunmehr gut 28 Jahren lebe. Vor über 26 Jahren gründete ich dort an der Universität, wo ich lehre, mit einem Kollegen ein Zentrum für deutsch-irische Studien, das Centre for Irish-German Studies. Ich kann also von Irland als meiner Wahlheimat sprechen und werde hoffentlich viele von Ihnen in den nächsten Minuten davon überzeugen, dass Irland auch in unserem Kontext hier von Interesse sein kann. Warum? Nun, es war ein bekanntes Mitglied dieser Akademie, nämlich Heinrich Böll, der Irland als das ›glühende Herz Europas‹ bezeichnete. Vielleicht gibt es bei einer Einbeziehung der irischen Perspektive auch die ein oder andere Anregung für uns hier.
Irland kann beispielsweise für sich in Anspruch nehmen, im Jahr 1776, also vor knapp 250 Jahren, am Trinity College in Dublin das Lehrfach Deutsch an Universitäten eingeführt zu haben, dank der Einrichtung des ersten Lehrstuhls der Welt für Deutsch (zusammen mit Französisch). In Deutschland kann man 1810 den ersten außerordentlichen Professor aufweisen, und zwar Friedrich Heinrich von der Hagen für altdeutsche Literatur in Berlin. Er wurde im Jahr 1818 ordentlicher Professor in Breslau und kehrte 1824, nun als Lehrstuhlinhaber, nach Berlin zurück. In Österreich wurde der erste Lehrstuhl für Deutsche Philologie sogar erst 1850 an der Universität Wien eingerichtet. Zu diesem Zeitpunkt gab es in Irland bereits an allen vier zu dieser Zeit bestehenden Universitäten German Studies im Kontext von Modern Languages – in Abgrenzung zu den sonst viel üblicheren klassischen Sprachen Latein und Griechisch. Die Lehrinhalte in Irland waren mitunter breitgefächert. Augustus Bensbach, der erste Professor für Modern Languages in Galway, ließ seine Studierenden beispielsweise sowohl Goethes Iphigenie auf Tauris als auch Justus Liebigs Chemische Briefe lesen.
Ein Dutzend Jahre vor Deutschland gab es in Irland auch Frauen, die Professoren werden konnten in der Germanistik – um genau zu sein, waren drei der fünf Lehrstühle für Deutsch in Irland von Frauen besetzt. Im Jahr 1919 konnte sich in Deutschland Agathe Lasch als erste Germanistin habilitieren, 1923 wurde sie in Hamburg zur Professorin ernannt, 1926 bekam sie einen neu geschaffenen außerordentlichen Lehrstuhl. 1942 wurde sie in Riga aufgrund ihrer jüdischen Herkunft ermordet. Vielleicht könnte man darüber nachdenken, ihren Namen und ihr Schicksal in jede Erstsemestervorlesung für Germanisten zu integrieren.
Wie sieht es gerade aus in der Inlands- und Auslandsgermanistik? Laut Medienberichten scheint sich die Inlandsgermanistik nahezu permanent in einer Krise zu befinden, tatsächlich haben sich die Studierendenzahlen in den Jahren von 2012 bis 2022 von über 81.000 auf 65.495 verringert, eine Abnahme von knapp 20 % in 10 Jahren. Dementsprechend herrscht mittlerweile in den meisten englischsprachigen Ländern in den German Studies eine Existenzkrise. Ausgezeichnete Deutschabteilungen werden immer weiter verkleinert oder sogar geschlossen, wie letztes Jahr auch in Dunedin an der University of Otago, der ältesten Universität in Neuseeland, wo ich meine erste Vollzeitstelle als Lektorin hatte. Studierende können dort wenigstens noch online Anfängerkurse in Wellington besuchen. Auch in den USA, wo ich Anfang der 1990er Jahre dank eines Austauschprogramms meinen Master machen konnte, ist die Lage in den letzten Jahrzehnten immer schwieriger geworden. In Irland ist die Situation zum Glück zumindest an den Universitäten weiterhin stabil. An den früheren Fachhochschulen, wo Deutsch in den 1990er Jahren eine Boomzeit erlebte, ist sie allerdings leider auch deutlich zurückgegangen und auch an den Schulen gibt es leichte Rückgänge. Neben der Pflichtsprache Irisch ist traditionell Französisch die erste Fremdsprache und Spanisch hat in den letzten Jahren sehr an Beliebtheit gewonnen. Dennoch sollte man festhalten, dass in Irland mittlerweile fast dreimal mehr Schüler und Schülerinnen Deutsch im Abitur belegen als in England, und das bei einer 11fach geringeren Bevölkerungszahl. Zwar sollte man fairerweise hinzufügen, dass in Irland meist doppelt so viele Abiturfächer belegt werden wie in England – aber das ändert nichts an dem seit Jahren anhaltenden erschreckenden Abwärtstrend auf unserer Nachbarinsel. Und unsere recht guten Zustände in der Republik Irland dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Nordirland, Teil des Vereinigten Königreichs, mittlerweile an keiner der beiden Universitäten mehr Deutsch als Fach angeboten wird. Für mich ist das besonders traurig, denn ich erlebte in Belfast vor 35 Jahren ein wunderbares Jahr als Assistant Teacher an vier Schulen, zwei katholischen und zwei überwiegend protestantischen Schulen. Diese positive Erfahrung und das Glück, zwei Jahre danach mit einem Stipendium an die Washington University in St. Louis zu kommen (die dortigen Lehrkräfte sind bis heute für mich Beispiel und Inspiration), haben sicher dazu beigetragen, dass ich heute vor Ihnen stehe.
Das laut Satzung erklärte Ziel dieser Akademie, »die deutsche Sprache und Literatur im In- und Ausland, in Kunst und Wissenschaft, im öffentlichen und privaten Gebrauch zu fördern«, ist seit über 30 Jahren auch mein Ziel, und es macht mich sehr glücklich, es nun auch im Rahmen der Akademie mit Ihnen allen gemeinsam weiterhin zu verfolgen. Vielleicht ist das anstehende Jubiläum von 250 Jahren Deutschstudium an Universitäten ein guter Ansatzpunkt, um neue Wege zu finden, die Schönheit und den Nutzen der deutschen Sprache und der deutschsprachigen Literatur verstärkt und vielfältig zu vermitteln. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!