Robert Menasse

Schriftsteller
Geboren 21.6.1954
Mitglied seit 1997

Ich über mich (II)

Ich kam im Mai des Jahres 1955 in St. Achatz am Walde zur Welt. Das große Waldsterben, das in St. Achatz schon Mitte der 60er Jahre verheerendste Folgen zeigte, brach meinen Eltern buchstäblich das Herz. So kam ich in die Obhut meines Onkels, der in St. Achatz als Sonderling, im übrigen Österreich aber als Dichter angesehen wurde. Um mich ruhigzustellen, weil er bei seiner poetischen Arbeit nicht gestört werden wollte, hielt mein Onkel auch mich zum Schreiben an. Um mich dabei möglichst lange ruhigzustellen, gab er mir immer wieder die dicksten Romane, derer er in der Leihbibliothek habhaft werden konnte, um sie mir als vorbildlich und nachahmenswert zu empfehlen. Erst später habe ich erkannt, daß mein Onkel selbst in keiner Weise an diesen sogenannten Vorbildern interessiert war und sich für seine eigenen Dichtungen lediglich von kurzen Textbeispielen, wie sie in herkömmlichen Literaturgeschichten zu finden sind, inspirieren ließ. Seit damals haben alle gelehrten Antworten auf die Frage, wie literarische Traditionen zustandekommen, für mich etwas sehr Weltfremdes. Als sich herausstellte, daß ich mit dem Schreiben Unruhe erzeuge, hat mein Onkel mich ins Ausland geschickt, in der Hoffnung, daß es in Österreich, zumindest in St. Achatz wieder ruhiger werde. Seit damals haben alle Antworten auf die Frage, wie es zu Brüchen in literarischen Traditionen und Kontexten kommt, für mich ebenfalls etwas sehr Weltfremdes. Mein Onkel hat mittlerweile den Österreichischen Staatspreis für Literatur erhalten. Daß ich selbst diesen noch nicht zuerkannt bekommen habe, kann ich mir nur so erklären, daß bei der Vergabe dieses Preises ehemalige Preisträger ein gewichtiges Wort mitzureden haben. So kann die Herkunft, Kindheit und Jugend, für einen Schriftsteller zum Fluch werden.