Carl Linfert

Kulturhistoriker und Journalist
Geboren 14.7.1900
Gestorben 30.5.1981
Mitglied seit 1962

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Sie haben mich in Ihren Kreis aufgenommen. Außer daß ich Ihnen dafür herzlich danke, komme ich mir, natürlich, sehr neu vor und kann kaum damit rechnen, daß Sie diese Attitüde für sehr neu halten. Also höre ich damit auf. Denn auch dann noch verhielte ich mich wohl als Neuling, wenn ich an Ihrer Akademie bewundern wollte, daß sie »für Sprache und Dichtung« eingerichtet ist und nicht nur für Dichter, obwohl die Dichtung, wie gestern Fritz Usinger sagte, zur Sprache ganz anders, weitherziger stehen darf als alle andern, die mit Sprache zu tun haben. Auch das ist längst bewußt, denn Sie haben es ja so eingerichtet, und braucht nicht akklamiert zu werden.

Nur zwei kurze Bemerkungen möchte ich machen. Sie betreffen, da ich mich nicht sozusagen biographisch vorstellen möchte, doch den Ort, an dem ich mich animiert fühle, und der wahrscheinlich der nämliche Ort ist, an dem auch eine Sprachakademie animiert sein wird. Aber (das wissen wir alle): Akademien, wenn sie nicht wissenschaftlich sind, stehen heute in keinem guten Geruch. Und sogar die wissenschaftlichen Akademien werden in den Schriften derer, die sich neuerdings mit den Reformen für Universität und Forschung befassen, gern unernst und unforscherisch genannt; denn da sie statt einer spezialisierten Wissenschaft immer noch den »Kosmos der Wissenschaften« im Auge hätten, seien sie längst auf dem Wege, sich bloß für ein »allgemeines Orientierungsbedürfnis« Grundsätze zurechtzuphilosophieren. Da haben wir nun in diesem Kreis – vielleicht – einen Vorteil. Sprache, die gebraucht wird, ist nicht in den Händen der Wissenschaft; umgekehrt: Wissenschaft wird möglich, ja genügt sich sogar, wenn sie an Sprache nichts in Anspruch nimmt als das Zeichensystem, das sie gerade braucht.

Ich will mich gar nicht darüber auslassen, was in den Wissenschaften vor sich geht, die mit so wenig Sprache auskommen. Aber zugleich wird, als sei das eine Nachwirkung der so sprachgenügsamen Wissenschaft, angesichts der meisten nichtwissenschaftlichen Äußerungen von Geist (ob das nun Literatur oder Kunst ist) teils mit einer wahren Wollust, teils mit Entsetzen eine zunehmende Minderung der Sprache beobachtet. Man wird kaum zweifeln dürfen, daß heute in allem, was Sprache heißen darf, ein offenbarer Zerstörungsdrang im Gange ist. Und zwar auf zweierlei Weise. Einmal wird die Sprache verkrüppelt oder geschwürig aufgebläht, indem sie ungeordnet, unaufmerksam und schließlich ohne Bewußtsein für die selbstverräterischen, in ihr eingenisteten Gewaltsamkeiten angewandt wird. Was da durch grammatischen wie durch physiognomischen Scharfsinn aufzudecken ist, hat gestern Gerhard Storz dargelegt; und was danach vermißt wird, ist keine ästhetische, sondern eine moralische Qualität. Denn es entstehen Änderungen der Lebensart, im bösen wie im guten, die in Worten oft eher wahrnehmbar werden als in dem, was getan wird. Aber davon will ich jetzt gar nicht reden.

Mir kommt es auf die zweite Form von Zerstörungsdrang an, die sehr kunstvoll ist, die darauf drängt, Sätze, Worte, überhaupt Bestandstücke der Form nicht nur der literarischen, auch der bildenden Kunst, auch der Musik so bewußt zu zerlegen, daß man nachher nur noch kleinste Elemente vor sich hat. Natürlich soll das heißen, daß damit die Welt im Innersten erfaßt ist, ohne jede konventionelle Perspektive von früher. Merkwürdig nur, daß dabei die Sprache, sei es der Worte, sei es der Formen, immer weniger zu tun hat. Es gibt große Beispiele dafür, deren Tiefsinn und auch Ergebnisreichtum niemand bestreiten wird. Was beunruhigen dürfte, ist nur die Raserei der Nachfolger, die Sucht nach Formlosigkeit, nach rotierender, nach zielloser Läufigkeit der Gebärden (ob nun von Worten oder Bildformen oder Tönen), die nur einfach sich abspielen sollen. Die sie abspielen lassen, haben nichts mehr damit im Sinn. Vordem nahmen einige sich solche Freiheiten, um etwas damit anzustellen; das Ergebnis war mindestens der Schock. Heute wundern sich einige andere, daß sie keinen Schock mehr erregen, und schieben es auf die Gesellschaft: da sei zuviel noch in Ordnung, aber man werde das Chaos schon herstellen. Ich will gar nicht erst fragen, ob das Gedankenflucht als Methode ist, die keine Schärfen und Treffstellen mehr besitzt, auf dem Wege zum baren Irrationalismus ist und statt etwas zu sagen (mit Worten, mit Bildern, mit Tönen) sich nur noch mit Partikelnaturalismus in Betrieb hält, den man dann »Strukturen« nennt. Ich will nur noch ein Beispiel nennen, das auf das Gegenteil hoffen läßt. Von der fanatischen Dingbeschreibung, die Robbe-Grillet betreibt, hat man gesagt, sie sei eine Blicksucht, die zu nichts dient als zu ergebnislosem Spionieren. Dieser Mann hat, indem er seinen Text dazu gab, mit dem Regisseur Resnais den Film Letztes Jahr in Marienbad gemacht. Das Ergebnis war genial: das Medium einer ganzen Kunst, eben des Films, wurde umgewandelt. Und der Antrieb dazu war die scheinbar stockende, additive Schreibweise von Robbe-Grillet, die den Film unter schweifendem Blick (der Kamera) unheimlicher bewegte, als er früher sich selbst bewegt hat.

Hier also war wieder Sprache entstanden, obwohl sie soeben noch fast verloren schien. Sprache ist wohl nichts anderes als ein Mindestmaß von Zusammenhang. Könnte einer von uns etwas dagegen haben, daß man Zerreißproben macht? Wohl kaum – wenn nur die eine Kunst sich an der andern prüft! Das ist die Bedingung. Wenn also (das wäre die Ausführung der Bedingung) das Wort gefragt wird, ob es mindestens noch beschreibt, das Bild, ob es noch Bildworte von sich zu geben vermag, und so noch einige Fragen. Denn Sprache – vermute ich wenigstens – steht an jedem dieser Orte auf dem Spiel: in dem Sinne, wie gestern Gerhard Storz das Wort Humboldts von der »Sprachlichkeit des Geistes« zitiert hat. Jede Form, nicht nur die des Wortes, ist Sprache.

Was ich hier berührt habe, gehört nicht zu den »großen Zusammenhängen«. Es ist ein kleiner Zusammenhang. Aber wenn er mit Strenge und mit Vielfalt das Thema einer Akademie ist, so wird man dieser Akademie nicht vorwerfen können, daß sie nur einem »allgemeinen Orientierungsbedürfnis« dient.