Jürgen Schiewe

Sprachwissenschaftler
Geboren 31.3.1955
Mitglied seit 2008

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren,

wenn ich, so gegen Mitte der siebziger Jahre, meinen damaligen Deutschlehrer mit der Ankündigung überrascht hätte, ich wolle Germanistik und Philosophie studieren, anschließend den Beruf eines Hochschullehrers anstreben und vielleicht sogar einmal zum Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung gewählt werden, dann hätte die Situation darüber entscheiden müssen, ob ihm bloß ein mitleidiges Lächeln entrückt oder ob er in schallendes Gelächter ausgebrochen wäre. Ich war, zumindest phasenweise, kein guter Schüler, auch nicht in Deutsch – jedenfalls keiner im Sinne kleinstädtischer gymnasialer Maßstäbe. Letztlich aber hat mich wohl gerade das dazu bewogen, tatsächlich jene Fächer, für die ich so gar nicht geeignet schien, zu studieren.
Mehr noch, anfangs wollte ich gar Schriftsteller werden, Lyriker zumal, aber meine Versuche, ein paar Proben meines nächtlichen Schaffens in den Akzenten unterzubringen, scheiterten an Michael Krüger. Meine Gedichte, so schrieb er mir am 12. Mai 1977, seien »entsetzlich rhetorisch«. Was immer das heißen mag, er hat Recht gehabt. Ich war beleidigt, aber geheilt, und das war gut so.
Dass sich dann meine folgende Konzentration auf die Literaturwissenschaft auch als ein Irrweg, eher wohl als eine Sackgasse erwies, lag allerdings weniger an mir, sondern an den zeitgeschichtlichen Umständen zu Beginn der achtziger Jahre. Nach dem Examen hätte ich gern über die anarchistische Ästhetik Erich Mühsams promoviert, aber mein potentieller Doktorvater fürchtete, das Klima für ein derartiges Thema sei gerade nicht günstig. Heute bin ich ihm nicht mehr böse.
Etwa zur gleichen Zeit erhielt ich – und das bestimmte dann meinen weiteren Werdegang – das Angebot, in der Sprachwissenschaft eine Doktorarbeit zu schreiben. Derjenige, der mir dieses Angebot machte und der heute auch hier ist, hat mich dann tatsächlich zur Promotion gebracht und noch über Jahre hinweg wissenschaftlich gefördert und begleitet, wofür ich ihm sehr dankbar bin. In deutlich konturierten Zick-Zack- und Bergauf-Bergab-Bewegungen bin ich dann quer durch die Bundesrepublik von Freiburg bis nach Greifswald gekommen, wo ich, neben täglich anfallenden anderen Aufgaben, nun versuche, Studierenden der Germanistik Erkenntnisse über Sprache und Sprachgebrauch zu vermitteln und dabei nicht zu vergessen, dass sich Interessen und Fähigkeiten auch noch später, nach der Schule, im Studium beispielsweise, auffinden und entwickeln lassen.
Mein Interesse, das ich im Laufe des Studiums, vor allem aber in der Zeit der Promotion, entdeckt und dann auch weiter verfolgt habe, gilt der Sprachkritik, ihrer Geschichte, ihrer Methode, ihren Möglichkeiten in und außerhalb der Wissenschaft. Sollte ich ein Motto wählen müssen für die Sprachkritik, so wie ich sie verstehen möchte, dann wäre das ein Satz aus dem 1828 erschienenen Buch Ueber die Sprache des immer noch zu wenig bekannten Sprachkritikers Carl Gustav Jochmann – ein Satz, der da lautet: »Herren und Knechte sind selten gute Sprecher.«
Sprachkritik kann und soll keine Vorschriften machen, sie will vielmehr, und dies hat sie vielleicht mit der Literatur gemeinsam, Möglichkeiten aufzeigen, dass und wie manches auch anders gesagt werden kann, vielleicht besser, angemessener. Damit hat Sprachkritik meines Erachtens eine vorrangig gesellschaftspolitische Aufgabe, nämlich die, im Rahmen einer anwendungsbezogenen Sprachwissenschaft Sprachbewusstsein zu fördern mit dem Ziel, Sprachkultur zu pflegen, auszubauen und zu sichern. In diesem Sinne habe ich versucht zu arbeiten, in diesem Sinne möchte ich, nun auch in der Akademie und im Kreise ihrer geschätzten Mitglieder, weiterarbeiten.
Die Wahl zum Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ist für mich ein großes Geschenk. Ich nehme es gerne und sehr dankbar an.