Übersetzer
Geboren 6.3.1923
Gestorben 23.4.1989
Mitglied seit 1977
Im Frühjahr 1972 wurde mir hier in Darmstadt im Glückerthaus die Ehre zuteil, aus den Händen des damaligen Präsidenten der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Professor Dr. Gerhard Storz, den Übersetzerpreis zu empfangen. Damals hatte ich auch Gelegenheit, einen Rückblick auf meine Anfänge zu werfen, einen Einblick in meine Arbeitsweise zu vermitteln und einen Ausblick in eine mögliche Übersetzer-Zukunft zu wagen.
Es war der Rückblick auf den Weg eines zwischen Maas und Niederrhein geborenen, zweisprachig (niederländisch-deutsch) aufgewachsenen Feld-, Wald- und Wiesenübersetzers, der, nach Krieg, Gefangenschaft und kurzem Studium, im Jahre 1949 an die Pariser Sorbonne geschickt wurde und dort nach dreijähriger Lektorentätigkeit den Entschluß faßte, in Frankreich zu bleiben, um die Kunst des Übersetzens literarischer Werke zu lernen und diese Mittlertätigkeit als Beruf auszuüben.
Seit dem Frühjahr 1953 (seit einem Vierteljahrhundert also) bin ich nun bei Samuel Beckett und anderen französisch-sprachigen Autoren als Übersetzer in der Lehre. Und seit gut 12 Jahren versuche ich, im Einvernehmen mit anderen Übersetzern, und (wie ich zu hoffen wage) auch im Sinne vieler, die berufener sind als ich und die die Übersetzungskunst auf anderen Ebenen üben und fördern, meinen bescheidenen Teil zur Fortentwicklung dieser sich unaufhörlich erneuernden vermittelnden Tätigkeit beizutragen. Nicht durch den Entwurf von Theorien, sondern durch die Aufzeichnung von Einzeleinsichten, die zu zeigen erlauben, was eigentlich geschieht, wenn ein Übersetzer nach der alten Alchimisten-Formel »solve et coagula« Elemente dichterischer Werke von einem Aggregatzustand in einen anderen verwandelt. Denn je mehr »Formeln« er bei diesem Vorgang zu skizzieren vermag, um so besser kann er mitwirken, das althergebrachte Bild des Literatur-Übersetzers sowohl von der mysteriösen Aura eines Wünschelrutengängers als auch vom ominösen Odium eines Falschmünzers zu befreien. Um so wirksamer kann er durch Vermittlung seiner Entdeckungen die Register der Literaturübersetzung mit vermehren und vergleichenden Sprachwissenschaftlern in die Hand arbeiten, und um so weniger werden künftig übersetzerische Naturtalente auf ihrem Lebensweg vor allem auf die Gunst von Zufällen angewiesen sein.
Es wird also versucht, Menschen zusammenzuführen, die, obgleich sie aufeinander angewiesen sind, durch eine absurde Kluft zwischen Theorie und Praxis getrennt voneinander wirken: einerseits Personen, die ihre wissenschaftlichen Einsichten oft schwer übersetzbaren Metasprachen anvertrauen und dabei vielleicht gar nicht ahnen, wie dringend ihre Erkenntnisse in der Praxis gebraucht werden, und andererseits Personen, die als Übersetzer in der Mehrzahl daran gewöhnt sind, mit ihren unentschlüsselten Geheimnissen alleinzubleiben, anstatt ihre Arbeitserlebnisse auszutauschen.
Die Vermittlung gewisser literarischer Kunstfertigkeiten vom Autor an seinen Übersetzer und von einem Übersetzer an den andern sollte hinfort nicht die Ausnahme bleiben oder nur während seltener Wochenendseminare stattfinden.
Vor sechs Jahren mußte im Glückerthaus die Metapher eines »irdischen Elysiums der Übersetzer« dazu herhalten, die Möglichkeit anzudeuten, daß vielleicht in ferner Zukunft »die Kunst des Hörens, Verstehens und Wiedergebens fremdsprachiger Literatur derart von den Älteren an die Jüngeren überliefert werden« könnte, daß nicht jeder einzelne immer wieder ganz von vorne beginnen muß, hellhörig und ausdrucksfähiger zu werden.
Aus der Vision des »Übersetzerelysiums« oder Übersetzerthelems ist inzwischen ein Projekt geworden: das Europäische Übersetzerkollegium, in dem zwölf erfahrene Übersetzer als Vertreter mehrerer Sprachenpaare unter besten Arbeitsbedingungen und mit der Möglichkeit, Sprachwissenschaftler um Rat zu fragen, zeitweilig zusammenleben können. Täglich zu sammelnde Arbeitsbeobachtungen sollen sogleich gesichtet und für das Glossarium, das Archiv aufschlußreicher Einzelerkenntnisse, ausgewertet werden.
Der Ort dieses Kollegiums liegt nicht mehr irgendwo auf einem anderen Stern, er ist ein zur Renovierung vorgesehener Häuserblock im Zentrum der niederrheinischen Blumenstadt Straelen, wo am 10. Januar dieses Jahres der Trägerverein »Europäisches Übersetzerkollegium Straelen e. V.« gegründet wurde.
Mit dem Dank für die Aufnahme in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung verbinde ich heute die Bitte um wohlwollende Unterstützung dieses Versuchs, nach dem Vorbild der »Schule von Toledo« eine Arbeitsstätte für Übersetzer literarischer Werke zu schaffen.