Schriftsteller
Geboren 24.3.1937
Mitglied seit 2003
Kürze leidet unter keinem Breitengrad und muß nicht sparen; sie wird darum auch nur leidlich gelitten. Dabei sind ihre Vorzüge nicht zu leugnen: sie erregt nicht Schwindel und läßt sich nicht lange bewundern
Einsilbigkeit
ist der letzte Stand
der Dinge.
Das Leben aber ist eine Geschichte, man muß sie gut erzählen können, um gelebt zu haben – und wär/'s in fünf Minuten oder sieben.
Herr Präsident, verehrte Damen und Herren, Dichter und Freunde, Freunde der Dichter –
Wie man sich denkt,
so stellt man sich vor
Ich habe nie gedacht, ich könnte in eine Akademie hineinpassen, und fern sei mir, nun es so naheliegt, mir heute einzubilden, ich paßte. Die getroffene Wahl, ist nicht die Wahl, die man trifft. Möge ich wenigstens die Anerkennung auch wirklich und nicht nur redlich verdient haben.
Der Akademie zu danken habe ich noch andere Gründe.
Vor gut vierzig Jahren trat ich in Korrespondenz mit Hermann Kasack, dem damaligen Präsidenten der Akademie für Sprache und Dichtung. Mich interessierte sein Werk, nicht weniger aber oder mehr, das Werk einiger seiner ehmaligen jüdischen Freunde. Ich habe dabei nicht vergessen, daß er es war, der meine zweite Hölderlinausgabe besorgte. Mit dieser und seiner zweibändigen Tieck-Auswahl, aus dem Jahr 1943, in der Reihe: Die Gefährten des damals noch in Berlin ansässigen Suhrkamp Verlags, bleibt mir Hermann Kasack in unverrückbarer Erinnerung. Nun schenkte er mir seinen erfolgreichen Roman Die Stadt hinter dem Strom und seinen umfangreichen Gedichtband Das ewige Dasein, dessen erste Auflage ebenfalls 1943 bei Suhrkamp erschienen war. Ich habe daraus mehr gelernt als erfahren.
Die Zeiten waren gedankenstarr und beziehungslos, kaum daß man auch nur das Rechte zu tun wagte. Nach dem großen Riß ließ sich niemand mehr hinreißen. Es mußte darum kurios scheinen, daß im Kalender des Suhrkamp Verlags ein Gedicht Kasacks in meiner Übersetzung, in hebräischen Lettern also, abgedruckt wurde. Kasack ließ mir – und darauf kommt es hier an – Veröffentlichungen der Akademie schicken, die für mich grundlegend geworden sind; ich nenne die wichtigsten: Das lyrische Werk Gertrud Kolmars; Franz Baermann Steiners Unruhe ohne Uhr; Arno Nadels Der weissagende Dionysos; die Briefe Alfred Momberts und Karl Wolfskehls Zehn Jahre Exil – alles Kostbarkeiten, die ich allerdings mehr zu schätzen wußte als zu lesen. Zwei oder drei Jahre später besuchte ich Kasack in Stuttgart. Wir sprachen, wie nicht anders denkbar, über Oskar Loerke, aber auch über den Wiener Georg Kulka, dessen Gedichte er gerade – mit Max Bense – neuentdeckt haben wollte.
Im übrigen saß er ordentlich da, mit scharfen Gläsern und Papillon – und war für nichts mehr zu begeistern.
Da war sein Nachfolger in der Präsidentschaft anders. Wohl auch nicht für alles und nicht leicht zu haben, dafür aber streitlustig und mit einem Auge für echt gereifte Zankäpfel.
Daß er eben zum Präsidenten gewählt wurde, spielte eine Rolle, entscheidend für mich aber war, daß er Deutschlands führender Bibliograph gewesen ist. Hanns Wilhelm Eppelsheimer liebte die Literatur und war reichlich gewitzt, kam aber nicht von der Poesie, trotz seiner Vertrautheit mit Petrarca und seiner persönlichen Bekanntschaft mit Ernst Blass, Anna Seghers und sogar mit Jakob Haringer, dem ich eine Weile, gewinnend und nicht vorteilhaft, ähnlich war. Auf meine Bitte holte Eppelsheimer Gedichte Ehrenbaum-Degeles, die er gern ins Heute zurückrufen wollte, aus seinem Gedächtnis. Gedichte sind die schlankbleibende Linie jeder Literaturgeschichte. Es waren Augenblicke, wie große Augen groß. Ich blieb indes, der ich war: Ein halbwilder Hebräer und kein ausgebildeter Bibliograph. Ich hatte also schlechte Karten, und da half auch eine gute Freundin wie Marie Luise Kaschnitz wenig, die ihrerseits versuchte, Eppelsheimer zu erweichen. Sein Widerstand gegen die Gründung einer Bibliographia Judaica war stark und nicht frei von der Angst, es könnten ihm aus seiner Fürsprache Arbeit und Verantwortung erwachsen. Im Mai 1963 besuchte ich Eppelsheimer im Palais Rothschild, Untermainkai 15. Es ging hart auf hart, aber ergreifend gut aus. Zum Abschied schenkte er mir sein kleines Buch: Homer – ein Original-Genie. Und schrieb hinein: »Für Elazar Benyoetz / ›Geburt des Kindes‹. / Am 8.5.63 / H. W. Eppelsheimer.«
Das wollte er festgehalten haben und das sollte heißen: Vertrauen in mich und in die Überlebensfähigkeit meines Planes. Er sah ihn endlich mit meinen Augen und nach einem weiteren Gespräch auch kommen.
Vier Jahre blieb ich dann in Berlin und am Werk. Als der solide Grund für die Bibliographia Judaica geschaffen war, kehrte ich nach Israel zurück. Renate Heuer führte das Werk, das ihr Lebenswerk werden sollte, zu Ende. Es erscheint, auf 16 Bände angelegt, von denen acht bereits herausgekommen sind, bei Saur in München.
Mein Lebenswerk ist wider Willen entstanden und wie unabhängig von mir: ein deutsch-jüdisches »Treffpunkt Scheideweg« und jüdisch-deutsche »Variationen über ein verlorenes Thema«.
Hier endet mein Bericht.
Dem Wunsch, mich in wenigen Minuten vorzustellen, vermochte ich als Aphoristiker nicht zu entsprechen, bin aber auch als Erzähler nicht recht zum Zuge gekommen; indes hoffe ich, der einen Forderung Genüge getan zu haben: »Gedenke an des Wegs, / den ER dein Gott in der Wüste / dich gehen machte / diese vierzig Jahre« (Dewarim, Reden, 8,2).
Gedenke nicht nur und nicht allein der Jahre und der Wüste, sondern all des Wegs, des ganzen.
Nehmen Sie bitte das Wort Eppelsheimers als Zuspruch eines ehemaligen Präsidenten und bündigen Zeugen: »Geburt des Kindes« könnte auf mich zugetroffen haben. Das war vor vierzig Jahren, und so lange, Gott sei es geklagt, währt schon mein deutsch-hebräischer Konflikt.