Übersetzerin
Geboren 20.6.1939
Mitglied seit 1994
»Jestem tu!« – »Ich bin hier!«
»Ja tu jestem!« – »Ich bin hier!«
»Tu ja jestem!« – »Hier bin ich!«
»A ja to kto?« – »Und wer ist ich?«
»Kto? Ja!« – »Wer? Ich!«
Diese Vor-Stellung, meine Damen und Herren, entstammt einer Theaterproduktion, in der ich kürzlich den deutschen Part zu sprechen, genauer, mein Wort, meine Stimme, quasi als Fleisch werdendes Echo, neben die polnische zu plazieren hatte, was die Gestalt des Stücks verwandelte. Der zusätzlich entstehende Dialog der Sprachen brachte mir, außer gewohnten Anfechtungen – nie, beispielsweise, wäre mein klirrendes »Hier« dem profunden »Tu« vergleichbar –, eine lange gesuchte, ausreichend tragfähig anmutende Vorstellung über mich selber ein. Wer über sich selber reden will, muß sich für ein Bezugssystem entscheiden. Ich hatte, so entschied ich nun, mein Lebtag aufs engste mit diesen dreien zu tun gehabt – mit Wort, Stimme, Verwandlung. Jetzt durfte ich, nach Lem, nur nicht mehr ausschließen, daß eine Verquickung beliebiger Zufälle und allertiefster Notwendigkeit denkbar sei, und mein Weg zum Übersetzen würde, tadellos schlüssig, zum Werde-Gang.
Behaupten kann ich: Ich bin in Trier geboren und wurde im frühen Kindesalter mit Mutter und Geschwistern aus den Luftschutzkellern des Rheinlands ins äußerste Ostsachsen evakuiert. Fortan, möchte ich vermuten, tat ich alles, um der soeben postulierten, notwendigen Bestimmung zuzuwachsen. Zeitig gebot ich über »Zauberwörter« – Porta Nigra, mein oberstes, setzte ich aus Gründen, die naheliegen, erst nach gut einem halben Jahrhundert außer Kraft. Ich »sammelte« Ausdruck. Sechsjährig, trat ich einem gewandten Menschen für den seinen alle Lebensmittelkarten der Familie ab, was meine arme Mutter neuerlich, diesmal zwecks Notzuteilung, vor den russischen Kommandanten zwang – davor hatte sie ihn schon erweichen können, mit den drei kleinen Kindern nicht an den Rhein zurückzumüssen. Bald »machte« ich Stimmen, wie ich das Nachmachen bei mir nannte, und heimste, das Lausitzer Volkskunstschaffen enorm bereichernd, Preise ein – mit erzgebirgischen Hutzenliedern und Harzer Jodlern. 3 Bände Avenarius samt grauslichen Böcklin-Illustrationen (oder war es Klinger?) sowie das Repertoire des Stadttheaters von Schwanda der Dudelsackpfeifer bis zu Der Widerspenstigen Zähmung im Kopf, bestand ich den, sogenannten Sonstigen-Kindern vorbehaltenen, Hindernislauf zur Oberschule und fing auf Beschluß der Arbeiter-und-Bauern-Regierung an, Polnisch zu lernen. Bis zum Abitur sah ich in der unterdessen zum »Dreiländereck der Freundschaft« avancierten Grenzregion zweimal lebendige Polen: hoch droben auf dem Oder-Neiße-Friedens-Viadukt einen Soldaten – an dem ich, die Hände als Trichter am Mund, die Vokabel Dzieƒ dobry/Guten Tag auf Wirkung ausprobierte; der Mann blieb ungerührt, aber ein Jeep fuhr vor, um mich auf einige Stunden »den Organen zuzuführen« – und einen Pulk vorbeiflitzender Friedensfahrer. Inzwischen war ich bis zu Frau Reich und Lady Milford, dem Vorüber, ach vorüber, geh wilder Knochenmann... und der Holden Kunst gediehen. Dennoch begann ich, wohl der List eines weitplanenden Schicksals erliegend, Polnisch und Russisch zu studieren.
Das Institut in Leipzig bot leider nichts Nennenswertes, Jazz-Keller und Kabarett der Uni waren dichtgemacht, ich fand Tag und Nacht Asyl bei der Studentenbühne. Brecht hatte, so erfuhr ich dort, nicht nur den Tschaganak Bersijew die Hirse erziehen, sondern auch Soldaten die Gewehre in die richtige Richtung richten, das Fleisch in den Vorstädten aufschlagen und auf Tanzböden Gras wachsen lassen. Ich plärrte jetzt in Busch-Manier »Vorwärts und nicht vergessen, worin unsre Stärke besteht...« zum Schifferklavier, sprach das »Einfache, das schwer zu machen ist« und zog, als Jüdische Frau, mit Furcht und Elend durch den Landkreis Teterow.
Der Boden war bereitet, das Ohr geübt, Verwandlung trainiert, noch ein paar passende Fügungen, und über eine Weile täte ich das mir eigentlich Bestimmte. In den drei »Pflichtjahren« nach dem Studium lernte ich unter halsbrecherischen Umständen in Polen, was mir dazu noch fehlte, und mehr – die Beugung des zungenbrecherischen Wortes szczęście/Glück. Aus einem Berliner Verlag war es ein leichter letzter Schritt zu dem, was ich, betroffen muß ich es gestehen, nunmehr die größere Hälfte meines Lebens treibe. Wortklauberin mit Liebe zum Verwandlungsspiel, habe ich die Stimmen polnischer Autoren unterschiedlichster Zeiten und Strömungen im Deutschen »nachgemacht« oder, hochtrabender, dem Deutschen an-verwandelt? Dieses Übersetzen ist seit ein paar Jahren nicht mehr meine Existenzgrundlage. Untergekommen, lerne ich die Wörter der neuen Wirklichkeit: Zentralverwaltung, Ortskraft, überqualifiziert. Doch dieses Übersetzen bleibt meine Existenzberechtigung. Deshalb, unterstelle ich, haben Sie mich gerufen, bin ich hier. Ich danke Ihnen.