Hans Scholz

Schriftsteller, Journalist und Maler
Geboren 20.2.1911
Gestorben 29.11.1988
Mitglied seit 1968

Hochverehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Sie können sich gar nicht vorstellen, wie schwer es ist, jemanden vorzustellen, der nichts vorstellt. Dieser Satz ist keine Improvisation; so wortmächtig bin ich nicht. Vielmehr ist er das einzige Ergebnis einer kurzfristigen Vorbereitung hier am Ort und auf der Terrasse vor dem Hause. Denn ich habe erst am heutigen Vormittag erfahren, daß ich mich der traditionellen Pflicht der öffentlichen Selbstdarstellung und Vorstellung nun nicht länger entziehen könne –, während ich noch heimliche Hoffnungen genährt hatte, mich endlich doch herumdrücken zu können. Nun, es hilft nichts: ich habe mich Ihnen vorzustellen. Und dies zumal, nachdem soeben ein Huelsenbeck zu Worte gekommen ist,* dessen Schaffen literarische Wendemarken gesetzt hat. Nein, ich habe keine Marken gesetzt und keine Wenden herbeigeführt, werde es auch nicht. Eher schon ließe sich sagen, ich sei gewendet worden, und zwar von der Malerei zur Schriftstellerei.

Mit der Malerei habe ich von Kindesbeinen an auf vertraulichem Fuße gestanden, wenn Sie diese Stilblüte hinnehmen wollen, und habe meinen gekritzelten oder gepinselten Erzeugnissen von vornherein soviel Wert beigemessen, daß ich sie aufzuheben trachtete und deshalb trotz kriegsbedingter Verluste immer noch im Besitz von allerlei Bildchen von meinem fünften Lebensjahr an bis zum heutigen Tage bin. Als ich siebzehn Jahre war, habe ich zum ersten Mal ausgestellt, allerdings nur auf der »Juryfreien«, dafür aber eine Rezension von Bruno E. Werner erhalten und eine ganzseitige Abbildung eines meiner Ausstellungsobjekte als Titelblatt einer Korrespondenz-Illustrierten verbuchen können.

Nach dem Abiturium gab ich einer Neigung zu vorsichtigen Schritten nach und begann mit dem Studium der Kunstgeschichte, wenig später aber infolge von Zufällen dann doch auch mit dem der Malerei. Dies geschah anno 1930, und da es merkwürdigerweise nicht anging, daß einer gleichzeitig sowohl an der Universität als auch an der Kunsthochschule studierte – beides in Preußisch-Berlin –, bedurfte es eines ministeriellen Erlasses, die unsinnige Verfügung außer Kraft zu setzen: Kultusminister Becker tat dies in telephonischem Gespräch mit Bruno Paul, dem Hochschuldirektor, in dessen Amtszimmer ich die Unmöglichkeit meines Doppelstudiums einem wohlwollenden Neuüberdenken empfohlen hatte.

Fortan durfte ich unbehindert Wulff, Weisbach und Fischel an der Universität hören, habe auch Wölfflin noch gehört und oblag dem Studium der Malerei bei Ferdinand Spiegel. Dieser war ein Mann, der vom Jugendstil Münchner Prägung herkam, aber die Schritte aus diesem Quellgebiet aller Moderne heraus ins eigentliche Neuland zu tun unterlassen oder nicht gewagt hatte. Kurz, Ferdinand Spiegel blieb auf Vor-Weltkriegsstand sozusagen, und nicht wenige seiner Schüler blieben es in gewisser Hinsicht ebenfalls, ich zum Beispiel, zumal in meiner angeborenen Neigung zu vorsichtigen Schritten. Es verdient aber angesichts der Jugendstil-Renaissance von heute angemerkt zu werden, daß zur Zeit meines Einschwenkens in die Künstlerlaufbahn im allgemeinen nichts Verpönteres als gerade eben der Jugendstil gedacht werden konnte.

Nun, die Jahre gingen dahin. Das Dritte Reich brach an. Was wir Spiegel-Schüler gelernt hatten und konnten, widersprach im großen und ganzen den künstlerischen Vorstellungen und Anforderungen dieses Machtstaates nicht; wenn auch Spiegels Arbeiten auf den Ausstellungen im Münchner Haus der Kunst geradezu herausfordernd fortschrittlich gewirkt haben. Ich habe während der Braunen Periode niemals ausgestellt, bin auch in der sogenannten Reichskunstkammer nicht gewesen, habe aber – ich mache kein Hehl daraus – aus öffentlicher und halböffentlicher Hand Aufträge angenommen und ausgeführt, meist großformatige Sachen und Wandgemälde. Kein Hehl deshalb, weil ich sonst niemals zum Malen oder, sagen wir, zur kommerziellen Nutzanwendung meines Studiums gekommen wäre, wie ich des weiteren noch zeigen will.

Als der Krieg vorbei und Hitlers Reich dahin waren, gedachte ich, aus amerikanischer und russischer Gefangenschaft nach Berlin heimgekehrt, mein Brot als Maler zu verdienen. Doch sollte sich dieses schlichte Vorhaben in einer Stadt, in der zwei Weltanschauungs- und Wirtschaftssysteme aneinanderstoßen, wenn nicht -prallen, als recht problematisch erweisen. Denn diesen sogenannten Systemen entsprachen oder entsprechen unausweichlich auch bestimmte Kunstdoktrinen: hier alles von den Abstrakten bis zu Tachismus, Op und Pop, drüben nichts als »Sozialer Realismus«, wie die Staatsgewalt ihn fordert und fördert. Unausweichlich, betone ich. Denn man sollte meinen, daß unsrer grundsätzlich freien Wirtschaft und unsrer Freiheit der Meinungen doch auch die Freiheit der Künste entsprechen müßte. Davon kann aber leider gar keine Rede sein. Der Kunstkritiker Will Grohmann weiland und seine Jünger deklarierten jegliche Gegenständlichkeit in den bildenden Künsten für veraltet, reaktionär, nazistisch und für Unkunst schlechthin und sorgten als Rezensenten und Juroren nachhaltig für die Verpönung der traditionellen Malerei – ohn’ Ansehung der Qualität ihrer Vertreter, es wären denn sehr Hochbetagte und Hochverdiente wie der alte Purrmann und Schmidt-Rottluff zum Beispiel gewesen – und sorgten für den praktischen Ausschluß der jüngeren Gegenständlichen von allem Kunstgeschehen. Dieser Markt und Öffentlichkeit durchdringende und bald auch beherrschende Prozeß vollzog sich unter einem mentalen Terror, der von den Ausübenden um so eifriger abgeleugnet wurde, je häretischer sie ihn praktizierten.

Da ich den Traufen des Krieges und den Traufen der Kunst im Dritten Reich nicht mit gutem Glimpf entronnen zu sein gedachte, um mir vom Studienrat Grohmann vorschreiben zu lassen, was Kunst sei und was nicht, und weil ich altmodischerweise für diesbezügliche Fragen als erste und oberste Instanz immer noch den Künstler, der Kunst macht, für zuständig halte, nahm ich einen Posten als Entwerfer und künstlerischer Berater bei der »Bauleitung der sowjetischen Befehlsbauten« an – auf Empfehlung meines Freundes Seitz, des Bildhauers, der jüngst in Hamburg verstorben ist – und entwarf dort mancherlei, was der Befangenheit der Architekten wegen, ihrer Angst vor vorgeordneten Instanzen an der Moskwa wegen nicht zur Ausführung gelangte – auf einen plastischen Entwurf, eine kleine Fortuna auf einer Kugel, schössen die Herren im Karlshorster Offizierskasino mit ihren Armeepistolen und bereiteten dem schicken Gegenstand einen unverdient martialischen Untergang – und mußte mir zu guter Letzt von einem direkt aus dem Kreml angereisten Inspizienten sagen lassen, daß meine gegenständlichen Bemühungen lauterer Formalismus seien – deutsch Kinstler, alles Formalist!

Die Stellung bei jener Bauleitung war wie deren Bestand befristet und endete mit der Fertigstellung der Sowjetbotschaft Unter den Linden. Es fehlte dann aber nicht an östlich-deutschen Vorschlägen, mich zu weiteren Arbeiten wie etwa für die Stalin-Allee zu verpflichten. Allein diese Aufträge waren a la longue mit der Auflage verknüpft, von West-Berlin nach Ost-Berlin umzusiedeln, und es war unschwer abzusehen, wann eventuelle Auftragserteilungen von politischen Bekenntnissen abhängig gemacht werden würden, die ich nicht abzulegen gedachte. Kurz, mit der Malerei nach eigenem Gusto, wie der Außenstehende sich das so vorstellen könnte, war es hier nichts wie dort nichts.

Da unternahm ich es, im Alter von vierzig Jahren, den Beruf zu wechseln und, davon ausgehend, daß dort uneingeschränkte Freiheit herrsche, es mit der Schreiberei zu versuchen – eine optische Täuschung nota bene. Ganz ungewohnt war mir der Umgang mit der Feder nicht. Scherzeshalber sei es erwähnt, daß meine erste Schrift – von Gelegenheitsgedichten und Liedtexten abgesehen -»Das Kfz. und sein Fahrer bei Anwendung von Geländekampfstoffen seitens des Gegners« war. Geschrieben während des Krieges in Rußland, eine Studie, die mit der Heeresgruppe Süd untergegangen sein dürfte. Ferner in Nordnorwegen eine ziemlich umfangreiche Arbeit, aufgrund deren das motorisierte Versorgungswesen der deutschen Truppen mit Hilfe sogenannter Meldeköpfe ohne besondere Aufwendungen auch in den Dienst der hart darbenden norwegischen Zivilisten gestellt werden sollte. Dies geschah auch, wurde sogar zum Muster für ganz Norwegen, doch ehe das knifflige System sich günstig auswirken konnte, war der Krieg schon vorbei, dieser Krieg, zu dem ich mich freiwillig gemeldet hatte, um dem Druck der Nazis zu entrinnen; den Hitlerschen Verordnungen nach hätte ich ihn als Meisterschüler der Reichs- und Preußischen Akademie der Künste, der ich mittlerweile geworden war, nicht mitzumachen brauchen.

Und nun zu Schluß und gutem Ende der Übergang von der Malerei zur Schriftstellerei, genauer von der Malerei im Osten zur Schriftstellerei im Westen – wobei ich rückblickend einen Seitenblick auf die immer wieder geforderte Gesinnung werfen darf: hätte ich sie stets und fest bewiesen, hätte ich als Nicht-Nazi unter Hitler und als Nicht-Kommunist unter Ulbricht nicht malen dürfen, hätte also von 1933 an vom erlernten Beruf keinen freien Gebrauch machen können und könnte es in West-Berlin auch bis zur Stunde noch nicht. Der Schritt zur Schreiberei war also fällig, falls er gelänge. So ganz einfach ist er nicht und nicht von heut auf morgen zu vollziehen. Ein Zwischenfach bot sich mir im rechten Augenblick als Notsteg an, der Werbefilm. In diesem Metier konnte ich eidetische Gaben und optische Schulung vorteilhaft nutzen und beim Drehbuchschreiben doch auch schon die Feder wetzen; das habe ich mehr als hundertmal getan. Ein Metier, nebenbei, wo erheblich mehr kinematographische Technik und Akribie erforderlich sind, als im Kunstfilm aufgewendet zu werden pflegen. Doch habe ich mich später auch an diesen sowie mehrfach in Fernseh-Produktionen, schreibend und sprechend, versucht. Dies allerdings erst, nachdem ich mich als angehender Romancier mit meinem Grünen Strand der Spree glücklich etabliert hatte.

Seltsamerweise zählte dieses Buch nahezu unabhängig von dem mir bekannten Inhalt zu den Berolinensien und ich folglich zu den Berolinisten, was ein Euphemismus für Heimatschriftsteller ist. Nun ist mir alle Berlinerei, wie sie in der Nachkriegszeit sentimentalisch üblich wurde, ganz zuwider und hängt mir zum Halse raus. Ich wohne in Berlin und damit basta! Erst als Folge von allerlei Nachfragen und Aufträgen habe ich mir einen gewissen Vorrat von Lokalkenntnissen zulegen müssen und diesen dann in meinem zweiten Buch Berlin, jetzt freue dich! niedergelegt, um solchen Ballast loszuwerden eigentlich. Doch von nun an war ich erst recht ein Berolinist, und während mich die Maler als Schriftsteller recht gern sahen, seit ich umgesattelt war, fehlte es nunmehr nicht an Schriftstellern, die mir so etwas wie einen Heimat-Unterhaltungsschriftsteller attestierten. Kurios jedenfalls. Aus diesem Dilemma versuchte ich mich durch mein Buch Der Prinz Kaspar Hauser freizuschreiben, das wenn schon, dann wenigstens eine Norimbergensie und Onolziade ist und keine Berolinensie. Es hat aber so recht bis jetzt noch nicht geholfen, vielmehr steht zu befürchten, daß ich wie weiland Otto Gebühr auf den Fridericus auf Berlin fixiert bleiben werde. Auf ein geteiltes Berlin, in dessen östlichen Teil ich als Maler zu Geltung gelangen könnte und auch schon gelangt bin und in dessen westlichen Quartieren ich eine gewisse Geltung als Schriftsteller habe erwerben dürfen. Mit zuvor erwähnten Einschränkungen, denen ich abermals ausweichend in den Journalismus überstieg, so daß ich heute Feuilletonchef eines guten Berliner Morgenblattes bin. Wohin ich allerdings wechseln soll, wenn ich auch dort rausgegrault werden sollte, weiß ich vorderhand noch nicht. Vielleicht zum Libretto-Schreiben? Spaßig genug ist das alles schon, und in einem einigermaßen schizophrenen Sinne läuft die berüchtigte Mauer just durch mich, der ich hüben nicht malen darf, wie ich möchte, mit einiger Nachsicht aber schreiben darf, was ich will – geschrieben ist ja noch nicht gedruckt – und der ich drüben zwar malen dürfte ohne anzustoßen, aber das keinesfalls schreiben, was ich schreiben müßte. Spaßig, wenn mich der sowjetische Gesandte in Ost-Berlin eines Tages durch einen Journalisten grüßen ließ: er hatte in der Welt eine satirische Erzählung von mir gelesen, in der ich geschildert hatte, wie und unter welchen Umständen ich als Maler und Designer beim Bau der Sowjetbotschaft mitgewirkt ... Das wär’s.

(Als Improvisation gehalten und nach dem Gedächtnis zu Papier gebracht.)