Christa Dürscheid

Sprachwissenschaftlerin
Geboren 4.10.1959
Mitglied seit 2022

Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Mitglieder der Akademie

Als ich darum gebeten wurde, eine kleine Vorstellungsrede vorzubereiten, habe ich – wie es den meisten von Ihnen wohl auch ergangen ist – gegrübelt: Was ist für diesen Anlass relevant, über was möchte ich sprechen, über was nicht? Soll ich mit Biographischem beginnen, also darüber berichten, dass ich nahe der Grenze zu Frankreich, in Kehl zur Schule gegangen bin, dass ich in Freiburg und Köln studiert habe, dass ich viel und gerne, wenn auch immer nur kurz, als Gastdozentin an ausländischen Universitäten unterrichtet habe? Oder dass ich lange im Rheinland, in Erftstadt, gelebt habe, dann mit meinem Mann und unseren beiden Kindern nach Zürich zog und dort schon seit 2002 am Deutschen Seminar tätig bin? Oder soll ich darüber sprechen, was mich dazu geführt hat, dass ich nun hier stehen darf – bei der Herbsttagung unserer Akademie? Genau das werde ich tun, es ist auch für mich eine gute Gelegenheit, darüber nachzudenken, welche Momente 1.) in meinem akademischen Leben weichenstellend waren und was mich 2.) als Linguistin umtreibt. Ich gehe also kurz auf diese beiden Punkte ein, dann komme ich zurück zu dem Anlass, zu dem ich hier stehe:

Vor einigen Jahren wurde ich gebeten, für das Uni-Magazin, eine Broschüre der Universität Zürich, einen kleinen Beitrag in der Rubrik «Ein Buch fürs Leben» zu schreiben. Es sollte ein Buch sein, so schrieb mir die Redaktion, das in meiner Karriere eine besondere Rolle gespielt hat. Nun hätte ich verschiedene literarische Werke nennen können, von denen einige möglicherweise sogar von hier Anwesenden stammen, und einige meiner Kolleginnen und Kollegen, die ebenfalls auf diese Frage geantwortet haben, haben das getan. Ich selbst habe damals aber ein Buch genannt, das vermutlich niemand kannte. Es trägt den TitelSprachwandel durch Computer, herausgegeben von Rüdiger Weingarten, es war 1997 erschienen, ich war im Sommer 1998 darauf aufmerksam geworden – und ich habe es begeistert gelesen. Zu jener Zeit suchte ich nach einem Thema für meinen Habilitationsvortrag. Habilitiert hatte ich im Bereich der deutschen Grammatik, für den Vortrag sollte es ein Thema sein, zu dem ich noch nicht gearbeitet hatte. Nach der Lektüre dieses Buches entschied ich mich: Über das Thema Internetkommunikation trage ich vor, dazu werde ich etwas publizieren, das interessiert mich. Die Frage, wie sich der Sprachgebrauch unter den – damals neuen – digitalen Bedingungen des Schreibens darstellt, ist denn auch bis heute ein Thema geblieben, zu dem ich arbeite. Und ich bin sicher: Hätte ich damals nicht dieses Buch gelesen, ich wäre nicht dazu gekommen, mich mit SMS- und WhatsApp-Nachrichten, mit dem Sprachgebrauch in der E-Mail- und Chatkommunikation oder in neuerer Zeit mit der Mensch-Maschine-Kommunikation zu befassen. In dem Sammelband las ich auch das erste Mal etwas über konzeptionelle Mündlichkeit und Schriftlichkeit und wurde so auf die Arbeiten von Wulf Oesterreicher und Peter Koch aufmerksam. Wie gerne hätte ich mich mit Wulf Oesterreicher, der ja auch Mitglied der Akademie ist, darüber ausgetauscht; das ist leider nicht mehr möglich. Aber damals hat er es sicher mitverfolgt: Seine Arbeiten waren für mein eigenes Schaffen und mein Nachdenken über das Verhältnis von gesprochener und geschriebener Sprache, Schrift und Schriftlichkeit weichenstellend.

Damit komme ich zum zweiten Punkt. Was treibt mich um? Auf mich passt die Rede von der Work-Life-Balance nicht, d. h. hier die Arbeit, dort die Hobbys, die Freizeit. In meinem Leben fließen diese beiden Bereiche zusammen, und zwar immer wieder in einer Tätigkeit: im Schreiben. Das Schreiben ist nicht nur mein Forschungsgegenstand, es ist mein Beruf und es ist mein Hobby. Nicht von ungefähr wollte ich einmal Schriftstellerin werden. In gewisser Weise bin ich das jetzt auch, ich schreibe – wissenschaftliche Arbeiten. Und das tue ich geleitet von dem Gedanken, den Peter Eisenberg in seiner eigenen Vorstellungsrede einmal so treffend zum Ausdruck gebracht hat: Ich möchte Interessantes den Interessierten zugänglich machen. Die Themen, mit denen ich mich in meiner Forschung befasse, sind ja auch sehr interessant: Es geht dabei nicht immer nur um das Schreiben im Internet, ich analysiere Alltagsphänomene im Sprachgebrauch, regionale Varianten in der Wortwahl, Regularitäten und Irregularitäten in der Grammatik, Orthographisches und Typographisches. Immer ist es dabei die deutsche Sprache, die mich umtreibt, über die ich auch jeden Tag etwas auf Twitter und Instagram schreibe – auf eine Art und Weise, die, so meine ich, für die Leserschaft gut zugänglich ist, zum Nachdenken über die deutsche Sprache anregt und dabei fast spielerisch auch Sprachwissen vermittelt. Denn das ist mein Selbstverständnis: Ich möchte die germanistische Forschung in die Welt hinaustragen (nicht zuletzt ist das auch ein Grund, warum mir die Auslandsaufenthalte als Dozentin so wichtig sind).

Zum Schluss komme ich nun aber, wie angekündigt, zurück zu dem Anlass, zu dem ich hier stehe. Dazu noch eine kleine Anekdote: Wie ehrenvoll es ist, in die Akademie gewählt worden zu sein, wurde mir einmal mehr bewusst, als man mir an meiner Heimatuniversität zu dieser Wahl gratulierte. Im Dekanat der Philosophischen Fakultät hat man damals festgestellt, dass ich ja schon im Mitgliederverzeichnis der Akademie aufgeführt würde, und zwar – ich zitiere – «gleich nach Dürrenmatt». Tatsächlich: Dürrenmatt und Dürscheid – ich bin in guter Gesellschaft. Aber nicht nur deshalb ist es für mich eine große Ehre, in die Akademie berufen worden zu sein. Es ehrt mich vor allem, dass Sie meine Arbeit so wertschätzen, dass Sie mich gewählt haben und dass ich als Linguistin nun meine Kenntnisse in die Akademie einbringen kann. Und ich bin sicher: Viele andere würden auch gerne eine solche Vorstellungsrede halten. Dass ich das hier tun konnte, freut mich sehr. Ich danke Ihnen.