Maja Haderlap

Schriftstellerin
Geboren 8.3.1961
Mitglied seit 2016

Sehr geehrter Präsident, meine Damen und Herren,
meine Ausgangsposition ließ nicht unbedingt erwarten, dass ich einmal vor Ihnen stehen würde, um mich vorzustellen. Geboren wurde ich im Jahr 1961 in Bad Eisenkappel / Železna Kapla in Südkärnten. Aufgewachsen bin ich auf einem einschichtigen Bergbauernhof in Lepena, einem engen Hochtal, in unmittelbarer Nähe der Grenze zum ehemaligen Jugoslawien. Zu Hause sprachen wir Slowenisch. Mein Vater war Waldarbeiter und Bauer, meine Mutter Bäuerin und Hausfrau. Beide hatten nur die Volksschule besucht und blickten mit Erstaunen auf ihre energische Erstgeborene. Dass dieses Mädchen einmal Schriftstellerin werden sollte, hätte niemand vorhersagen können, es gab in unserem Haushalt nur vereinzelte Bücher, die in den kargen Räumen wie Fremdkörper wirkten. Ich habe diese wunderlichen, phantasieanregenden Objekte erst in der Schule für mich entdeckt.
Ich hatte Glück und bin, wie man so sagt, tätig durch viele Hindernisse gerutscht. Nach der Matura am Bundesgymnasium für Slowenen in Klagenfurt wollte ich am Max Reinhardt Seminar in Wien Regie studieren. Bei der Aufnahmeprüfung fragte mich eine Professorin, woher ich denn komme und ob ich je ein Theater von innen gesehen hätte. Das wollte ich nicht auf mir sitzen lassen und begann Theaterwissenschaften und Deutsche Philologie zu studieren sowie einen ansehnlichen Teil meiner Freizeit in Wiener Theatern zu verbringen. Daneben veröffentlichte ich slowenische Gedichte. Als ich am Ende meiner Studienzeit den zweiten slowenischen Lyrikband nach Hause brachte, sagte ein Nachbar zu meinem Vater: »Jetzt hast du sie in die Stadt geschickt, damit sie eine Frau Doktor wird, und nun kommt sie als Künstlerin nach Hause. Kommt zurück und ist eine Künstlerin, da soll sich einer auskennen.«
Ich kannte mich nach meiner Promotion im Jahr 1989 auch nicht aus, bewegte ich mich doch, solange ich denken konnte, in politischen, sozialen, kulturellen und sprachlichen Räumen, die sich unentwegt voneinander abgrenzten. In Kärnten sah man in der Existenz der slowenischen Volksgruppe eine Bedrohung für die Einheit des Landes. In Wien fragte man mich, warum ich als Österreicherin und Theaterfrau slowenische Gedichte schreibe, in Slowenien wollte man später wissen, was mich bewegt, in diesem krisengeschüttelten Land nach Arbeit zu suchen, ob ich denn keine anderen Perspektiven hätte. Am Beginn der neunziger Jahre waren gewisse Kreise in Kärnten entrüstet, dass ich als Tochter eines Kärntner Partisans und Außenseiters Chefdramaturgin am Stadttheater Klagenfurt wurde.
Ich legte vorerst meine literarischen Intentionen an der Garderobe des Theaters ab und warf mich dem Theaterbetrieb geradezu in die Arme. Lange Zeit glaubte ich angekommen zu sein, bis mir leise Bedenken kamen, oder besser gesagt, bis sich Stimmen und Erinnerungen in mir regten, die immer vernehmbarer gegen den historischen Gedächtnisverlust im Land aufbegehrten. Ich begann die Stimmen zu sammeln, zu bündeln und auf Deutsch zu schreiben. Die deutsche Sprache half mir, meine persönliche Isolation zu durchbrechen, sie ordnete mein Nachdenken und hielt mich auf Distanz zu den Heimsuchungen, von denen im Roman Engel des Vergessens die Rede ist.
Alsdann nahm alles wieder seinen Lauf. Nach dem Ingeborg-­Bachmann-Preis und mit meinem Eintritt in den deutschsprachigen Literaturbetrieb wurde die Schriftstellerin, zu der ich manchmal Du sage, eine Person öffentlichen Interesses. Ich reiste zu Lesungen und Diskussionen im In-­ und Ausland, beantwortete alle erdenklichen Fragen, wobei sich das Publikum wiederholt und nachdrücklich nach der Geschichte der Kärntner Slowenen erkundigte, aber auch wissen wollte, warum ich die Literatursprache gewechselt habe. Ich argumentierte und explizierte, gab Auskunft über Persönliches und Politisches und stellte mich in den Dienst des Romans. Allmählich und schrittweise kam mir zu Bewusstsein, dass die Schriftstellerin während der Befragungen, Vereinnahmungen, Diskussionen und Beanspruchungen Gefahr lief, verlorenzugehen. Die öffentliche Indienstnahme förderte, da sie eine Vereinzelte überforderte, Zweifel und Erschöpfung. Dazu kam, dass ich nach außen annähernd wie eine Sprecherin der Kärntner Slowenen agierte, nach innen jedoch Vorwürfen gegenüberstand, die mir Abtrünnigkeit, Sprachverrat und Erniedrigung der slowenischen Opfer des Nationalsozialismus vorhielten, da ich auf Deutsch schreibe.
Auf diese Weise vervielfachten sich die unsichtbaren Grenzen, in deren Magnetfeld ich aufgewachsen bin. Sie wären imstande, einem die Worte auszutreiben, wenn ich nicht gelernt hätte, mit mannigfachen Widersprüchen zurechtzukommen. Nach wie vor habe ich mit Zuschreibungen, Projektionen und Zurechtweisungen zu tun, die meine Herkunft und meine Sprachen betreffen. Wie man sehen kann, entwickelt sich die Auffassung von einer manifesten, zweifelsfreien nationalen Identität gerade zum Kampfruf in der gegenwärtigen europäischen politischen Auseinandersetzung. Das gleichsam Überlebte wird neu erschlossen.
Sehr geehrte Damen und Herren der Akademie, gewiss würde mich interessieren, welche Beweggründe Sie bewogen haben, mich in Ihren erlauchten Kreis aufzunehmen. Mein literarisches Werk ist zweisprachig. Es ist brüchig, da es keinerlei Gewissheiten kennt, es muss sich wiederholt in neuen sprachlichen und kulturellen Zusammenhängen behaupten. Es lebt im Spannungsverhältnis von Übergängen, Brüchen, Zeitrissen und Ungleichzeitigkeiten. Auch deshalb trägt mein letzter Lyrikband den Titel langer transit. Für jedes Buch muss ich, wie mir scheint, ein Lebenspfand abgeben. Und doch, es sind die Verheißungen der Sprache, die Hoffnung, zur Sprache zu kommen, die mich fortfahren lassen. Mein Lebensweg zeigt, welche Kraft der Sprache innewohnt, was sie persönlich, aber auch gesellschaftlich bewirken kann. Das ist mein slowenisches Erbe, das Wissen, wie Sprache etwas in Bewegung bringt, dass sie nicht nur ein Instrument der Ideologien ist, sondern auch rebellisches, lebensveränderndes Potential besitzt. Ich danke Ihnen, dass Sie mich eingeladen haben, im Haus der deutschen Sprache Platz zu nehmen, und dass Sie dabei nicht nach meiner Identitätskarte gefragt haben.
Eine kleine Berichtigung meine Familie betreffend sei mir zum Abschluss gewährt. Nach meinen ersten Lyrikveröffentlichungen wurde ein Teil meiner Sippschaft vom Erzählfieber gepackt. Meine Onkel, Großtanten, meine Mutter und andere Verwandte fanden heraus, dass man in einem gelungenen Leben zumindest ein Buch schreiben müsse. Sie begannen auf Slowenisch zu erzählen, zu dichten, zu diktieren und zu komponieren. Mittlerweile stapeln sich in der Familienbibliothek die Bücher.