Jiří Gruša

Schriftsteller und Diplomat
Geboren 10.11.1938
Gestorben 28.10.2011
Mitglied seit 1993

Vor vielen Jahren las ich das Buch, in welchem ein junger Witwer mit heftigen Worten sein Schicksal beklagt, eine Übersetzung aus dem Deutschen. Begeistert nahm ich auf, wie er Gott mahnte und wie ihm witzig und schroff geantwortet wurde. Der Text, in Böhmen vor Jahrhunderten geschrieben, hatte auf tschechisch einen so seltsamen Duktus, daß ich das Original lesen wollte. Mühsam habe ich mir eine neudeutsche Fassung besorgt und stellte erstaunt fest: ich befinde mich in einer anderen Landschaft. Jene beredsame Dame, die den Unglücksraben so gnadenlos zurechtstutzte, war ein Mann. Der Tod! Komisch! Kann man da sterben, fragte ich mich, wo ein Tod – statt der Tödin, wie bei uns gewohnt, die Arbeit verrichtet? Wo aber eine Frau Sonne strahlt, beschlagen mit männlichen Sternen? Keine Kind-Sonne und keine Sie-Sterne also? Wo Wasser ›das‹ ist, ergo ebenfalls nicht weiblich? Es hat mich einfach fasziniert: diese neue genetische Basis einer so nahen und zugleich fernen Sprache. Ich fing an, sie zu bewohnen. Zuerst launisch ironisch verwandelte ich die tschechisch flimmernden Sie-Sterne in das festere Er-Gebilde des Deutschen, dann hingerissen und schließlich dankbar. Denn diese Er-Sterne- und Sie-Sonne-Sprache hat mich gerettet, als man mir meine – die tschechische – nahm. Als man mich mundtot machte – aus nichtigen – wie anders auch! – Gründen. Wenn Sie hier, liebe Freunde, meinen, daß diese Rettung auch eine deutsche Aussage hat, die unter der Sie-Sonne bis zu einem Er-Tod einige erfreuen könnte, so bin ich glücklich. Es wäre doch Hybris, etwas mehr zu wollen als eine klare persönliche Botschaft.