Daniel Göske

Amerikanist und Übersetzer
Geboren 23.2.1960
Mitglied seit 2014

Sehr geehrte Damen und Herren:
Sie wollen wissen, wer ich bin. Aber wer weiß schon, wer man ist. Es ist leichter zu sagen, wo man herkommt, wovon man ausgeht. »Home is where one starts from«: so heißt es in T. S. Eliots spätem Gedicht East Coker.
Ich komme aus Lüneburg und bin, wiewohl ich seit langem in Göttingen wohne und in Kassel arbeite, immer noch Lüneburger. Diese alte, von Bomben und autogerechten Straßen weitgehend verschonte Backsteinstadt, schön auch im Regen, hat zwar keinen weltberühmten Sohn, der sie als »geistige Lebensform« gepriesen hätte. Aber hier sang immerhin der junge Johann Sebastian Bach zwei Jahre lang im Kurrendechor an St. Michaelis, meiner Taufkirche, wo mein Großvater mütterlicherseits die Orgel schlug und Bachs Oratorien aufführte. Auch Heinrich Heine wohnte in den 1820er Jahren eine Weile in Lüneburg. Hier schrieb er einige seiner schönsten Gedichte, »gelehnt an der Linde, / Hoch auf der alten Bastei«, hinter dem Johanneum.
Das war eine alte Gelehrtenschule, wo mein Vater Englisch und Deutsch unterrichtete und seine drei Söhne Abitur machten. Für meinen Vater, den ich sehr liebte, hatte es nur ein Notabitur gegeben. Er war mit 17 eingezogen worden und hatte später in den Ardennen und zuletzt um Berlin kämpfen müssen. Nach dem Studium in Hamburg ging er als Junglehrer nach England, dann in die USA, später für drei Jahre nach Istanbul, bevor er 1958 an seine alte Schule zurückkehrte. Dort lehrte er bis zu seinem Tod, und er litt an den stümperhaften Bildungsreformen der Ministerial­bürokratie, an der pharisäerhaften Ignoranz der in den 1970ern hoch politisierten Jugend, am Desinteresse der Kollegen an dem Projekt seiner späteren Jahre: der Erforschung des Schicksals der Lüneburger Juden.
Von dieser Arbeit habe ich in meiner Schulzeit viel zu wenig Notiz genommen. Das Johanneum war ein humanistisches Gymnasium. Da konnte man statt Englisch Latein und neben Griechisch sogar Hebräisch lernen. Ich wählte den neusprachlichen Zweig: Latein und Englisch. Ein wenig »Humanismus« kam dazu, als ich den Tafelschwamm im Nacken eines Mitschülers ausdrückte und mein kluger Deutschlehrer mir zur Strafe einen Auszug aus dem 5. Gesang der Odyssee aufgab. (Und so lernte ich, auf und nieder hopsend im Bett meiner Eltern, den deutschen Hexameter.) Meine Mutter, lebenslustig und schüchtern zugleich, war unsere Verbindung zur Musik. Das war vor allem Kirchenmusik. Bach bis Brahms. Wagner war out, bis mein jüngerer Bruder, Cellist an der Münchener Oper, glaubwürdig versicherte, dass der Mann zwar nicht dichten, aber komponieren konnte. Mein großer Bruder hatte den Kanon schon früh durch britische Rockmusik erweitert: The Who, Genesis, Pink Floyd. Bei mir als halbfrommem Mitglied im örtlichen CVJM (erst später nannten wir uns ironisch Piet-Kong) reichte es nur zur Klampfe.
Nach dem Wehrdienst belegte ich die Fächer Englisch, Deutsch, dazu etwas Theologie und Philosophie, in Göttingen. In dieser für Nordlichter etwas muffigen, aber geistreichen Stadt fand ich die Freunde fürs Leben, die Menschen also, von denen und mit denen man am meisten lernt. Die Göttinger Germanistik beeindruckte mich sehr, und die Anglistik hatte ein sehr eigenes Gepräge. Da gab es z. B. einen englischen Lektor, der lateinische Verse publizierte und im Sprachlabor Eliots East Coker für Ausspracheübungen nutzte. Und als Student musste man zwischen Transformations­grammatik und Sprachgeschichte wählen. Die klügsten und schönsten Studentinnen wählten meist die Letztere. Und so lernte ich, tief gebeugt über die Regeln der Palatisierung und der südhumbrischen Verdumpfung, meine Frau kennen. Dafür bin ich der altenglischen Phonologie bis heute dankbar.
Schon im Studium wurde mir, auch als Chorsänger und Kirchgänger, die Wortmusik immer wichtiger. Die reicht von Luthers oder Paul Gerhardts Liedern bis zu Benjamin Brittens War Requiem. Wortmusik und gute, klangvolle Prosa, eine nahrhafte Predigt, eine uneitle, wirkungsvolle Rede, ein stimmiger Text – das genieße ich sehr. In der angelsächsischen Welt wird eine klare Prosa, wie mir scheint, auch heute noch mehr geschätzt als hierzulande. Vor allem wird sie mehr geübt. Das habe ich jedenfalls während meiner Studienjahre in England (Kent) und im Nordosten der USA (Pennsylvania und Princeton) so erlebt. In der anglophonen Welt gehört ein klarer, wirkungsvoller Stil sozusagen zum guten Ton.
Im Ausland habe ich auch gelernt, wie sich Muttersprache und Vaterland im großen Kontext ausnehmen. Und was man von denen lernen kann, die in der so wunderbar reichen englischen Sprache zuhause und dennoch zu vielfachen Übersetzungsleistungen fähig sind. In meinem Fall sind dies John Logan in Princeton, Peter Nicolaisen aus Flensburg und vor allem Armin Paul Frank in Göttingen. Dank ihm war die literarische Übersetzung (beileibe nicht nur ins Deutsche) lange ein wichtiger Forschungsschwerpunkt in Göttingen. Davon habe ich enorm profitiert, auch als Amateur-Übersetzer, mehr noch als Bewunderer jener schönen Schindmähren der Weltliteratur: der professionellen Literaturdolmetscher. Wissenschaftlich beschäftigen mich gerade die kaum bekannten Vermittler der anglophonen Moderne: der deutsche Virginia Woolf, die deutsche Hemingway der 1920er Jahre oder die deutschen Faulkners der Nazizeit.
Zu den ganzen großen Dichterübersetzern der Vergangenheit gehören für mich Luther und sein englischer Kollege William Tyndale. Der Wittenberger Bibelprofessor genoss den Schutz seines Landesherrn und die Arbeit im Team. Tyndale jedoch schrieb seine wunderbar schlichte und doch klangvolle Bibelübersetzung ganz allein, heimlich, im Exil. Dafür wurde er 1536 im Auftrag der römischen Kirche in Brüssel öffentlich stranguliert und verbrannt. Dieses Schicksal müssen, hierzulande wenigstens, keine Übersetzer mehr befürchten. Aber ihre schöne Schinderei angemessen zu unterstützen, zu würdigen und zu entlohnen ist für die deutsche Sprache und Dichtung lebenswichtig. Als ebenso unverhofftes wie dankbares Mitglied dieser Akademie und als sanft beamteter »Staats­hämorrhoidarius« (Fontane) möchte ich dabei helfen, die öffentliche Aufmerksamkeit für die Arbeit der Übersetzer zu schärfen. Und, ganz generell, für die Kostbarkeit und Köstlichkeit klug gewählter Wörter und gut gebauter Sätze. Dafür sind ja nicht nur die Dichterinnen, sondern auch die Übersetzer und die Sprach-Lehrer zuständig. Sie sollen und müssen sich plagen mit dem, wie der alte Eliot in East Coker schrieb, »intolerable wrestle / With words and meanings« – dem unerträglichen Gerangel mit Wörtern und ihren Bedeutungen. Ob sich diese Plage lohnt, ist keine Frage: »For us, there is only the trying. The rest is not our business.«