Christoph Möllers

Staatsrechtler und Rechtsphilosoph
Geboren 7.2.1969
Mitglied seit 2022

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

Sie haben sich einen Juristen in die Akademie geholt, jemanden, der Verfassungsrecht und Rechtsphilosophie lehrt, damit aber auch jemanden, der es gar nicht gewöhnt ist, in seinen Texten „ich“ zu sagen –
und der sich darüber freut, heute mit dieser Gewohnheit zu brechen.
Was aber soll ich hier unter Ihnen, Schreiberinnen und Schreibern?
Diese Frage muss ich, wenn ich dieses schöne Ritual recht verstehe, jetzt selbst beantworten, also Ihnen Ihre eigene Wahl erklären.
Ich komme aus dem Ruhrgebiet, aus einem Haushalt linker Germanisten, in dem die einzigen mit Ernst und Strenge gefällten Urteile ästhetische Urteile waren. Das dürfte immerhin erklären, warum ich mich über die Aufnahme in diese Akademie von Herzen freue. Denn meine Herkunft brachte nicht nur die Lektüre von allem Möglichen mit sich, sondern auch ein Lebensgefühl, in dem das Ästhetische nicht ornamental, sondern notwendig und ubiquitär, also nicht auf die Kunst beschränkt sein sollte.
Dauerpolitisiert und durchästhetisiert, wie ich von Haus aus war, konnte ich mir bis heute ein gewisses Misstrauen gegenüber meinem eigenen Fach bewahren. Die Entscheidung, Jurist zu werden und die Skepsis gegenüber dieser Wahl spiegeln mein ambivalentes Verhältnis gegenüber 68. Meine Familie jedenfalls fand es seltsam, einen Juristen zum Kind unter sich zu haben, stehen diese doch zu gern auf der Seite der Ordnung. Solange ich auch bei den Juristen lesbar schreiben würde, konnten sie damit aber ihren Frieden machen. So ist mir das Gebot, ordentliche Prosa zu produzieren, recht früh ans Herz gelegt worden, obwohl ich in einem Fach gelandet bin, das einem solches systematisch aberzieht.
Was ich hier bei Ihnen zu suchen habe, ist damit immer noch nicht gesagt. Und vielleicht lässt es sich auch weniger gut biographisch als in der Sache klären, etwa anhand einer kurzen Vorstellung zweier Fragen, die mich beschäftigen.
Die eine Frage betrifft das Lesen, die andere das Schreiben.
Zum Lesen: Mein Haupt- und Dauerthema sind Verfassungen, insbesondere demokratische Verfassungen. Verfassungen werden verfasst und sie verfassen dann eine ganze institutionelle Welt. Dies geschieht notwendig auch dadurch, dass sie gelesen werden. Verfassungen sind nun Texte, denen wir unterstellen, dass jedes Wort in ihnen zähle. Wir nehmen sie radikal ernst und wir vermeiden es, in dieser Lektüre Faktoren wie Irrtum, Zufall oder Unaufmerksamkeit der Verfassungsverfasser zuzulassen. Täten wir es, würden wir ihre Autorität infrage stellen.
Verfassungen sind aber auch Texte, die zugleich esoterisch und exoterisch gelesen werden müssen. Auf den Text einer demokratischen Verfassung müssen sich alle einen Reim machen können, schließlich ist die Verfassung in der Demokratie dezidiert für alle da. Zugleich produziert die Präzision, die eine Verfassung uns abverlangt notwendig auch Lektüren von Liebhabern und Expertinnen. Negativ formuliert: Verfassungen können sowohl durch Spezialisten als auch durch Dilettanten kaputt gedeutet werden. Was bedeutet dieses unvermeidliche Nebeneinander abweichender Lektüren für demokratische Verfassungen, vielleicht sogar für solche wie die europäische, die es als einen gemeinsamen Text noch gar nicht gibt?
Eine zweite Frage, die mich beschäftigt, betrifft das Schreiben: Vieles vom dem, was ich als Verfassungstheoretiker produziere, steht am Übergang von Recht und Politik. Das treibt mich mitunter an die Grenzen wissenschaftlicher Formen. Politische Theorie ist ein Feld, das der Wissenschaftlichkeit bedarf, aber wissenschaftlichen Genres und einer eng verstandenen wissenschaftlichen Sprache nicht völlig zugänglich ist. Kann man politische Theorie wirklich nur mit den überlieferten Gattungen wissenschaftlichen Schreibens fixieren, also namentlich mit Aufsätzen und Traktaten? Für vieles bedarf es anderer Formen, von denen mich zwei immer interessiert haben:
Zum einen natürlich der politische Essay, eine Form, die für die politische Theorie unersetzlich ist, obwohl die Wissenschaft das nicht recht verarbeiten kann. Zum anderen und vor allem interessiert mich der politische Aphorismus. Mir scheint, politische Theorie muss man aus einer Teilnehmerperspektive betreiben, nicht aus der Sicht eines Theoriekönigs, der seinen Leserinnen und Lesern eine Ordnung vordenkt. Dazu aber sollte man in anderen Formen schreiben als dem Traktat. Das Projekt einer politiktheoretischen Aphoristik verfolge ich seit längerem, weil ich glaube, dass das Fragmentierte, die Leserinnen mehr involvieren kann und es deswegen plausibler macht, dass die zu verhandelnden Probleme ihre eigenen sind.
Ohne mit diesen beiden Fragen das Vergleichbare mit dem Ähnlichen verwechseln zu wollen, könnten sich aus beiden Anknüpfungen ergeben. Dazu wäre mehr zu sagen, aber nicht in fünf Minuten.
Vielen Dank für Ihr Interesse!