Joachim Sartorius

Lyriker, Herausgeber und Übersetzer
Geboren 19.3.1946
Mitglied seit 2002

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, Gedichte sind mentale Selbstporträts. Man könnte mich also von meinen über mehrere Jahrzehnte entstandenen Texten her zusammenfügen, Konstanten ausmachen, Orte, die wiederkehren, Grundstimmungen – Zweifel an gesichertem Wissen und, widersprüchlich dazu, ein fast blinder Glaube an Sinneseindrücke, an das, was die Augen fassen und halten. Immer wieder auch Verweise auf das Mittelmeer, weil ich dort – in Tunis, Istanbul und Zypern – fast ein Viertel meines Lebens verbracht habe. Aber Gedichte sind vielfach gebrochene Gebilde, die Wörter Stäbe, die man ins Wasser taucht. Es spricht so vieles in das eigene Sprechen hinein, was so zunächst mit einem selbst gar nichts zu tun hat, Aufgelesenes, Angelesenes, paroles trouvées, so daß dieses eigene Sprechen changiert, andere Formen und Farben annimmt, um sich schließlich, wenn die Oberfläche sich wieder beruhigt, erneut zusammenzufügen, und die Sprache, die noch bei einem ist, führt, verführt zum weiteren Spielen, Melodieren, Alliterieren, um des Klangs willen, des Rhythmus' willen. Lese ich alte Gedichte von mir wieder, so komme ich mir manchmal wie Robinson Crusoe vor, der im Sand neben seiner Spur noch eine andere gegenläufige Spur entdeckt und erst auf den dritten Blick weiß: Das ist ja auch meine Spur, ein fingiertes Ich, und doch auch mein Ich. Einmal übrigens schlich sich wirklich eine Fälschung in meine Biographie ein (wovon ja alle Schriftsteller träumen). In einem Lexikon über Berliner Schriftsteller heißt es: Joachim Sartorius, geboren 1946 in Karthago. Das gefiel mir. Tatsächlich bin ich erst mit zehn Jahren nach Tunis gekommen, besuchte das Lycée de Carthage und fand im ersten Winter in den Pfützen des Schulhofs, nach heftigen Regenfällen, punische Silbermünzen. Das hat mich geprägt, wie das Licht in Sidi Bou Said, die Tänzerin Aziza, die Ruinen der römischen Städte Dougga und Sbeitla, die kleinteilige Pracht der Souks, die Vergänglichkeit und die Fülle. Dort an der afrikanischen Küste des Mittelmeers wurde ich sehr früh zum skeptischen Hedonisten, der intuitiv wußte: Das Angebot ist groß. Es zerfällt rasch. Wohl daher in meinem Leben der häufige Wechsel von Kontemplation zur vita activa und zurück. So gibt es auch, wenn man will, zwei Biographien. Ein Doppelleben. Ich bin kein freier Autor. Die Vorstellung, von morgens bis nachts nur mit Poesie zu tun zu haben, erfüllt mich mit Horror. Da halte ich es lieber mit den Dichterärzten Benn und Williams oder dem Versicherungsvizepräsidenten Wallace Stevens. Ich habe stets neben dem Schreiben, Herausgeben, Übersetzen auch einen Brotberuf gehabt, der eine gewisse Folgerichtigkeit aufweist, vom Kulturreferenten am deutschen Generalkonsulat in New York – mit dem schönsten Titel aller meiner Laufbahnen, Malcolm Lowry hätte ihn geliebt: Vizekonsul – über die Leitung des Goethe-Instituts bis zum Intendanten der Berliner Festspiele. Beeinflussen sich die beiden Sphären? Nein. Beeinflussen sich die Sprachsphären? Doch, in dem Sinne, daß ich ständig einen Widerstand gegen die Amtssprache, die Sprache der Büros empfinde, die mich tagsüber umgibt, und dieser Widerstand dann oft nachts zu Hause am Schreibtisch geradewegs und wunderbarerweise zur Poesie führt. Verwandlung also. Verwandlung, die eine Tröstung ist, wie Heiner Müller in einem Gespräch mit Alexander Kluge über Ovids Metamorphosen formuliert hat. Wenn das Leben immer anderswo ist, dann müssen wir von Gestalt zu Gestalt, Ort zu Ort eilen, Ballast abwerfen, uns verändern, das Auge aber immerzu schärfen und wahrnehmen, was uns an »Vollkommenheitsscherbenstückchen« (Lászlo Krasznahorkai) noch umgibt. Das ist besser und – wohl auch lohnender als die eigene Vorstellung, die ja immer von einem gewissen malaise begleitet ist und zu der ich heute abend auf freundlichste Weise gezwungen wurde. Dieses Selbstporträt ist nicht fertig, für unsere Zwecke aber wohl hinreichend. Für meine Zuwahl in diese illustre Akademie möchte ich mich sehr herzlich bei Ihnen allen bedanken.