Michael Maar

Literaturwissenschaftler und Schriftsteller
Geboren 17.7.1960
Mitglied seit 2002

Johann-Heinrich-Merck-Preis

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,
Es gibt immer wieder Momente im Leben, in denen man Farbe bekennen muß. Man ist in einer fremden Gesellschaft, man wird den anderen Gästen vorgestellt, und dann kommt die unvermeidliche Frage: »Und was machen Sie
Diese Frage, Sie werden lachen, bedeutet für mich seit langem eine kleine, aber beständig rieselnde Quelle der Verlegenheit. Noch stärker schwillt diese Verlegenheit an, wenn es ein Amt ist, eine offizielle Stelle, die mich zu robuster und unmißverständlicher Auskunft darüber auffordert, was ich denn nun sei. »Beruf« steht in denen von Staats wegen ausgestellten Dokumenten, und dann muß man, in den überlangen, donquijotesken Großbuchstaben, wie sie für Formpapiere vorgesehen sind, seinen Beruf eintragen.
In meiner Heiratsurkunde von 1980 tat es noch die Behörde für mich, dort steht auf der entsprechenden Zeile, nicht ohne einen Beiklang von Mißbilligung: Ohne Beruf.
Bald darauf begannen sorglose Zeiten, in denen ich eine zweistellige Semesterzahl lang mit dem Eintrag Student nichts falsch machen konnte. Danach begann es, schwierig zu werden. Eine Zeitlang behalf ich mir mit der Auskunft Literaturwissenschaftler oder Germanist. Damit hatte es insofern seine Richtigkeit, als ich dieses letzte Fach studiert und mit der Promotion abgeschlossen hatte. Aber den wahren Sachverhalt traf es dennoch nicht ganz, denn erstens waren die Autoren, denen seit Studientagen meine vorzügliche Liebe und Beschäftigung galten, ein Franzose und ein nach Amerika emigrierter Russe, hatten einen Germanisten also nichts anzugehen; und zweitens vermutet man von einem Literaturwissenschaftler, daß er seiner Wissenschaft in irgendeinem ordentlichen Institut obliegt, was von mir nicht gesagt werden konnte, der ich seit meinem Studienabschluß keinen Fuß mehr in eine Universität gesetzt hatte. Schon vor dem Abschluß des Studiums hatte ich mich entschieden, es anders zu versuchen und meine Familie als Publizist zu ernähren. Publizist - das war immerhin vage und großzügig genug, um mir einige Male aus der Klemme zu helfen. Zu vage und zu großzügig, aus der Sicht des Steuerwesens, das sich auf kein Pipapo einläßt und bei dem ich seit Jahren als Journalist deklariert bin.
Das war ich, schien mir, nun gerade nicht. Ich schrieb zwar regelmäßig für Zeitungen, aber alles, was den Journalisten auszeichnet, das Quicke, Alerte, Allgebildete ging mir in hohem Maße ab. Für die Steuer mochte es taugen, aber privat sträubte sich etwas gegen diese Bezeichnung, und so lebte ich eine Weile mit der Zwischenlösung »Philologe und Kritiker«.
Aber auch der Kritiker war nicht über jeden Zweifel erhaben. Ich schrieb fast immer über Bücher, die meinen Enthusiasmus geweckt hatten, und das waren nur in Ausnahmefällen solche der letzten Saison. Darum war ich auch nicht übermäßig überrascht, als mir kürzlich zugetragen wurde, ich sei gar kein echter Literaturkritiker, was ich vielmehr betreibe, sei literary criticism. Auch recht, sagte ich mir; für mein kleines Problem aber war mir damit nicht weitergeholfen.
Eine Zuflucht bot sich in der vornehmen französischen Variante: Essayist. Im nachhinein finde ich sie nicht nur prätentiös, ich frage mich auch, wie sie klingt, wenn man sie wörtlich ins Deutsche übersetzt. »Versucher« - das hat ja einen geradezu diabolischen Beigeschmack.
Nein, Essayist war auf Dauer auch keine Lösung. Für ein Jahr trat überraschend Entlastung ein, als ich zum Fellow des Berliner Wissenschaftskollegs berufen wurde; auch wenn außerhalb des Grunewalds nur die wenigsten wußten, was man sich unter einem solchen Burschen vorzustellen habe. Die goldenen Zeiten brachen vier Jahre später an, in diesem zur Neige gehenden Jahr 2002, in dem ich in Visa-Formularen ohne viel Federlesens eintragen konnte: visiting professor.
Genau genommen erstreckten sich diese goldenen Zeiten auf drei Monate, denn nach der Gastprofessur an einer amerikanischen Universität konnte ich diesen Titel schlecht weiterführen; die Visite war zu Ende, und ich mußte sogar hoffen, sie würde sich nicht unzulässig verlängern wie bei dem von mir verehrten dänischen Märchendichter, der zu Gast bei Charles Dickens gewesen war und nach dessen Abreise der Hausherr im Gästezimmer ein Kärtchen über der Kommode anbringen ließ, das alle künftigen Besucher informierte: »Hans Christian Andersen schlief in diesem Zimmer fünf Wochen - der Familie schien es eine Ewigkeit«.
Mein Abstecher nach Amerika sollte sich nicht auf diese Weise verewigen, und so herrscht seit meiner Rückkehr wieder die alte Malaise. Vor kurzem allerdings wagte ich zum erstenmal die Bezeichnung Schriftsteller. Nicht ohne Beklemmung; ich habe noch keinen Roman verfaßt. Aber sollte sich der nicht Schriftsteller heißen dürfen, der Bücher schreibt, wie ich es nun als einzig unbezweifelbare Tatsache seit einigen Jahren tat? Ganz so klar ist mir die Antwort auf diese Frage bis heute nicht.
Aber nun bin ich, unter welcher Bezeichnung auch immer, von Ihnen, meine verehrten Kollegen, zu Ihrem Mitglied gewählt worden. Nicht, daß mir diese Wahl aus meiner speziellen Verlegenheit hilft. Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung - dafür gäbe es in keinem amtlichen Formular auch nur genügend leere Felder. Aber ich hege die Hoffnung, mit dieser habituellen Verlegenheit in Ihrer Runde nicht der einzige zu sein. Nicht nur darum danke ich Ihnen, für die große Ehrung, von Herzen.