Hans Bender

Schriftsteller
Geboren 1.7.1919
Gestorben 28.5.2015
Mitglied von 1965 bis 1972

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

es ist mir Gelegenheit gegeben, mich persönlich zu bedanken für die Aufnahme in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Ihr Gründungstag, der 28. August 1949, spielt auch in meinem Leben eine Rolle. Am gleichen Tage ging ich in Rußland durch das Lagertor. Entlassen, nicht nur aus der Gefangenschaft, sondern aus einem viel zu langen Lebensabschnitt, der in Unfreiheit und Ungeist geklemmt war.

Ich habe die Arbeit der Akademie von Anfang an beobachtet. Ich habe ihre Buchausgaben gelesen; Gedichte, Prosastücke, Tagebücher großer, integrer Männer und Frauen, die mir vorher nicht ganz vertraut sein konnten. Ich habe die Referate, die Diskussionen, die Preisverleihungen vernommen. In Trier und Köln durfte ich an den Tagungen teilnehmen. Dabei kam es zu persönlichen Begegnungen, die noch heute dauern.

Ich werde als Geschichtenerzähler gewertet. Als Realist, als Moralist, als Schulbuchklassiker. »Wirklichkeitsnahe Diktion«, heißt es im Lennartz; »zuchtvoll verhaltener Erzähler« im Wilpert. Friedrich Sieburg freute sich an meiner »Weltanschauung der Zärtlichkeit«, Günter Blöcker fand Gefallen an meiner »unaufdringlichen Melodie«. Ich höre die Einschränkungen mit; ich weiß, extreme Charakteristiken haben heute mehr Geltung. »Seit sie mehr wissen, sind die Dichter böse geworden«, heißt ein Aphorismus von Elias Canetti. Ich wünsche mir, die Kennzeichnungen klängen nicht so sicher. Andererseits bekenne ich mich ungeniert zu meiner Art und Weise.

Ich lese immer wieder die Kalendergeschichten meines Landsmannes Johann Peter Hebel. Jedesmal packt mich die Sehnsucht, eine einzige Geschichte schreiben zu können, die seinem »Unverhofften Wiedersehen« oder seinem »Kannitverstan« gleichkäme. Was für ein bescheidener, was für ein unverfrorener Wunsch! werden Sie denken. Auch ich denke so; ich erkenne die Vergeblichkeit, die Trennung von Hebel, von seiner Epoche, seiner Autorität. Aber der Wunsch macht deutlich, wie hoch die Aufgabe, eine Geschichte zu schreiben, gesteigert werden kann. Welche Wirkung die kleine, begrenzte, einfach erscheinende Form erzielen kann. Eine Geschichte, eine Welt! Eine Geschichte, nicht die Welt zu verschönen, sondern sie bewußt zu machen, wie sie ist. Zudem hält der Wunsch mich frei vor der Gefahr und Unruhe: Wie mache ich es richtig? Wie schreibe ich, damit ich dem jeweiligen Tagesgeschmack gefalle?

Meine schriftstellerische Arbeit nähme wahrscheinlich einen breiteren Raum ein, wenn ich mich nicht von Anfang an auch als Redakteur, Herausgeber und Anthologist beschäftigt hätte. Weshalb habe ich es getan? Ich wollte anderen zur Publikation verhelfen; ich wollte konturieren, akzentuieren. Fünfzehn Jahre schon macht diese Tätigkeit mir Freude und Ärger. Ich habe einen guten Standpunkt, die Seismogramme unserer Literatur sehr nahe sehen zu können. Ich sehe die neue Thematik, die neuen Denk- und Bauformen, die rasch wechselnden Tendenzen. Ich sehe ihren Anspruch: Sie wollen die vorigen ablösen; manchmal mit unerbittlicher Radikalität. Ich betrachte es als Aufgabe aller Literaturverwalter und Literaturförderer, diese Konfrontation zu erkennen und beiden Kräften Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Auch das Älterwerden darf kein Hinderungsgrund sein, sich mit der Literatur von morgen und übermorgen zu befassen und ihr ohne Resignation den ihr zustehenden Platz zu gewähren. Mit dieser Auffassung, glaube ich, bereitet es keine Schwierigkeit, in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, in ihre Arbeit und Kollegialität hineinzufinden und mich bald darin heimisch zu fühlen.