Joachim Günther

Publizist und Literaturkritiker
Geboren 13.2.1905
Gestorben 14.6.1990
Mitglied seit 1974

Johann-Heinrich-Merck-Preis

Sie haben mich im Oktober 1974, gegen Ablauf meines siebzigsten Lebensjahres, ich weiß nicht mit wie kleiner oder größerer Mehrheit zum ordentlichen Mitglied gewählt. Ich danke Ihnen dafür und hoffe, die Gegner dieser Entscheidung zu enttäuschen, indem ich ihre Gründe und Vermutungen nicht gar zu deutlich bestätige. Nun soll ich etwas über mich selbst sagen. Ich bin in Preußisch-Hessen, in der Kreisstadt Hofgeismar am 13. Februar 1905 geboren, stamme väterlicherseits aus Ostpreußen, von der Mutter her aus Pommern. Mein Jugendmilieu und auch das meines späteren Lebens bis zur Stunde ist in erster Linie von Berlin bestimmt worden. Ich war ein guter Schüler, ein weniger guter Student, der viel Lernzeit in frühzeitige journalistische Arbeit um des Lebensunterhaltes willen abzweigen mußte. Ein richtiger Journalist ist dennoch aus mir nicht geworden, weil mir die spezifische Begabung dafür fehlte. Sie hat mir indessen auch als Schriftsteller gemangelt. Ich habe das Schreiben von den späten Schuljahren an mit Leidenschaft, aber ohne Talent für eine seiner geläufigeren Kategorien betrieben. Zum Gedicht war ich so wenig fähig wie zum Drama; zur Erzählung nur, wenn mich ein Stück episch vorgeformter Wirklichkeit inspirierte, also selten genug. Es blieben unklare Misch- und Kurzformen wie Kritik, Essay, Tagebuch, zu denen im Alter noch der Aphorismus gekommen ist. Sie haben mir dafür im Jahr meiner Zuwahl den Johann Heinrich Merck-Preis verliehen. Im Lauf eines halben Jahrhunderts werden etliche tausend Seiten mit solchen Kleinigkeiten von mir beschrieben worden sein, in Zeitungen, in Zeitschriften, auch in einigen Büchern und seit rund zwanzig Jahren in einer eigenen Literatur- und Kulturzeitschrift, die weniger ich selbst mit besonderem Geschick als eine von mir undurchschaute Konstellation guter Sterne bis zur Stunde am Leben gehalten hat.* Das alles muß in absehbarer Zeit sein natürliches Ende finden. Die Lust am Schreiben, die ich mehr als Passion für den Satz als für das Buch verstehe, scheint aber im Alter eher zuzunehmen. Ich werde der geplanten Zeitschrift der Akademie vielleicht noch damit zur Last fallen, wenn ich einmal keine eigne Zeitschrift mehr haben sollte. Inzwischen beschäftigen mich die ins Wort faßbaren Geheimnisse des reifen und alten Lebens nicht getrennt von, sondern hineingemischt in die Wirklichkeiten und Probleme der Epoche, in der ich jetzt lebe. Einen Schlüssel habe ich nicht, aber es ist auch nicht so, daß ich nicht immer wieder etwas zu erkennen, zu bekennen und im Rahmen des täglichen Schreibwerks anzumerken hätte. In diesen Prozeß scheint schließlich das Leben mit all seinen Plackereien, Mühsalen und Umwegen als Rückkehr ins Paradies auszulaufen.