Solomon Apt

Übersetzer
Geboren 9.9.1921
Gestorben 7.5.2010
Mitglied seit 1994

Ich fasse mich kurz. Nicht nur, weil es verlangt wird. Öffentlich zu sprechen fällt mir auch in meiner Muttersprache recht schwer. Um so schwieriger ist es, in einer Sprache zu reden, die man selten hört, mit der man gewöhnlich als mit einer Schrift, einem Buch zu tun hat. Und dazu noch vor einem Auditorium, das aus Kennern und Prägern dieser Sprache besteht. Ich denke an Thomas Manns Wort: »Was man nicht ist, das ist das Abenteuer«. Ich muß mich vorstellen, d.h. erklären, was ich bin, das Abenteuerliche ist also fehl am Platze, ich darf nicht so tun, als ob ich ein gewandter Redner wäre.
Meine übersetzerische Arbeit begann vor 48 Jahren. Von Hause aus bin ich Altphilologe, und meine ersten Autoren waren die alten Griechen, und zwar Aristophanes, Aeschylos, Euripides, später Plato. Für mich war diese Arbeit, ich muß es gestehen, kein Versuch, tiefer in die Kontroversen meiner Zeit einzudringen. Im Gegenteil, es war eine Art Flucht vor der trüben Realität der Stalin-Epoche zu jenen Gipfeln des Geistes, wo das Grauenhafte und das Komische pur, sozusagen, erscheinen.
Doch mit der Zeit fand ich keine Genugtuung mehr bei dieser Arbeit. Letzten Endes waren die meisten antiken Autoren schon vor mir übersetzt. Zwar waren die meisten dieser Übersetzungen in der Mitte des 20. Jahrhunderts sprachlich veraltet, doch meine Beschäftigung schien mir jetzt ein zu abstraktes, zu lebensfremdes Spiel zu sein. Ferner war die künstlerische, die ästhetische Wirkung der alten Griechen von der Vorbereitung, von der Belesenheit des Lesers abhängig, von ihr bedingt. Der Leser war immer auf einen Kommentar angewiesen, den man entweder in den russischen Text einfügen oder ihm beilegen mußte. Wo es aber keine unmittelbare, keine lebendige Aufnahme gibt, gibt es auch keine Luft für die Poesie.
Als ich mich an die zeitgenössische deutsche Literatur wandte, brachten mich die Umstände zu zwei grundverschiedenen Autoren, die damals noch lebten – Bertolt Brecht und Thomas Mann. Einige Stücke von Brecht, die ich übersetzt hatte, wurden in Moskau und anderswo aufgeführt. Es gab sowohl gelungene als auch langweilige Inszenierungen. Vielleicht waren es die letzteren, die mich von Brecht abwandten. Auf jeden Fall zeigten sie, daß die Zeit der geradlinigen Satire vergangen war.
Gute 15 Jahre meines Lebens vergingen im Zeichen von Thomas Mann. Ich habe etwa viertausend Seiten seiner Schriften übersetzt und zwei Bücher über sein Werk und Leben geschrieben. Die glücklichste dieser Arbeiten war zweifellos die russische Joseph-Tetralogie. Daß das Buch in den siebziger Jahren zum Bestseller wurde, ist gewiß auch dadurch zu erklären, daß es in einem jahrzehntelang von der Weltkultur abgesonderten Lande für sehr viele eine freudenvolle Annäherung an die biblischen Geschichten und Gestalten bedeutete, die damals in Rußland so gut wie vergessen waren. Hauptsache ist aber, meine ich, daß das Buch als eine heitere Herausforderung der totalitären Ideologie dem dogmatischen Denken gegenüber empfunden wurde.
Der Dichter, den es mir beschieden war, den russischen Lesern tatsächlich zu eröffnen, war Franz Kafka, dessen Erzählungen ich Anfang der sechziger Jahre übersetzt habe.
Erst in den siebziger Jahren habe ich es gewagt, mit dem ersehnten Musil-Unternehmen zu beginnen. Die Arbeit an dem Mann ohne Eigenschaften dauerte gute fünf Jahre. Als Übersetzer kehrte ich auch unlängst zu Musil zurück, aber aus dem Vorsatz, ein Buch über Musil zu schreiben, wurde nichts. Es blieb bei einem längeren Zeitschriften-Artikel.
Der Dichter, der mich heute nicht weniger anspricht, als es in meiner Jugend Thomas Mann tat, ist Hermann Hesse. Ich habe sehr vieles von ihm übersetzt und übersetze seine Texte noch heute.
Als Berufsübersetzer mußte ich mich natürlich auch mit anderen deutschen Autoren befassen. Unter ihnen gab es vortreffliche Schriftsteller (Canetti, Max Frisch, Feuchtwanger), doch rückblickend sehe ich, daß nicht sie und nicht die Klassiker des 19. Jahrhunderts – ich habe auch einiges von Kleist, Hölderlin, E. T. A. Hoffmann und Wilhelm Hauff übersetzt, – die Hauptstufen meiner Arbeit und somit meines geistigen Lebens ausmachten, sondern Thomas Mann, Kafka, Musil, Hesse.
Mein langsamer, Wort für Wort vollzogener Aufstieg zu diesen Gipfeln der deutschen Kultur gewährte mir einen Blick auf den Menschen und auf die Zeit aus dieser Höhe. Es freut mich, daß gerade jetzt, inmitten unserer politischen, moralischen und wirtschaftlichen Wirrungen, in einer für die hohe Ästhetik scheinbar unpassenden Zeit, daß gerade jetzt junge russische Verleger sich mit verzweifelter Begeisterung Mühe geben, unter anderem auch die Bücher zu bringen, die ich zu meinen Wegweisern wählte.
Es fehlt an Geld, an Papier, der Müll wird wochenlang von den Straßen nicht weggeräumt, auf diesen Straßen wird ab und zu geschossen, neben der russischen Trikolore wehen die blutrote sowjetische, die giftig gelb-schwarze monarchistische Fahne und klingen nicht halblaut faschistische Parolen. Doch in demselben Moskau erscheinen Bücher von Thomas Mann, Hesse und Musil, in demselben Moskau beauftragt mich ein kleiner Verlag mit der Übersetzung der Schuldfrage von Karl Jaspers. Das flößt Hoffnung ein, daß die menschenfreundliche deutsche Literatur ein Bestandteil unseres unberechenbaren geistigen Lebens bleibt.