Katja Lange-Müller

Schriftstellerin
Geboren 13.2.1951
Mitglied seit 2000

Meine Damen und Herren, Berlin war die Stadt, in der ich linkshändig geboren, großgezogen und, trotz legasthenischer Probleme, Schriftsetzer wurde; das Land oder richtiger der Staat, in dem dies geschah, nicht mir allein, hatte dort seinen Regierungssitz und hieß DDR, was Deutsche Demokratische Republik bedeuten sollte. Doch manchem, dem es während der früheren Jahre oder am vorletzten Tag der – nach menschlichem Ermessen kurzen – irdischen Existenz dieses Staates auf die eine oder andere Art gelungen war hinüber zu Wechsel n in die Bundesrepublik Deutschland, die Berlin später ebenfalls zu ihrer Hauptstadt macht standen die drei Versalien für die Wörter: »Der Doofe Rest.« Der Beruf des Schriftsetzers starb aus, die meisten Setzer, ich ebenso, überlebten und suchten sich andere Arbeit: ich fand eine ungelernte in der Psychiatrie, bis ich, aber nicht nur ich, eines Tages von Ostberlin nach Westberlin zog. Das wiederum überlebte die DDR, jedoch nicht mehr lange. Ich wurde Schriftstellerin, und aus Ost- und Westberlin – auf dem Papier zumindest, wenngleich nicht auf meinem – ein geeintes oder wiedervereintes Berlin, das seither von einer Metamorphose oder Pubertät in die nächste gerät. Diesem womöglich endlosen Entwicklungsprozeß entziehe ich mich gelegentlich. So nahm ich für einige Zeit Quartier in Wien und verordnete meinen – weiterhin von den drei bisherigen Berlins inspirierten – Stoffen eine Art deutsches Österreichisch, was mir nicht sonderlich glückte, und doch, mehr oder weniger seltsamerweise, dazu führte, daß ich im Brühwürfel mein stilistisches Vorbild erkannte. Seither bemühe ich mich, meine Texte auf kompakte Extrakte zu reduzieren und dennoch als Prosa erscheinen zu lassen, freilich nicht als allzu epische. Die Angst vor Wiederholungen, ja, die Manie, kein Won öfter gebrauchen zu wollen als unbedingt notwendig, könnte aber, obwohl gerade sie mich in komplizierte, vielgliedrige Sätze zwingt, auch von meiner Zeit als Schriftsetzer in der DDR herrühren. Wenn ich im Plexiglashäuschen vor der Linotype saß und schwer lesbare, von Hand korrigierte Manuskripte für Publikationen wie »Die Brieftaube«, »Der Röntgendiagnostiker« oder das Vereinsblatt des Sportklubs »Grün-Weiß« abtippte, bildlicher gesprochen ins Blei schlug, fragte ich mich manches Mal, warum die meisten dieser Beiträge, egal zu welchem Thema, derart langatmig waren, obwohl sie nichts sagten, aber das gleich doppelt und dreifach. Glauben Sie mir, diese Schule hat mein schriftliches Mitteilungsbedürfnis nachhaltig gebremst. Als es dann doch dazu kam, daß ich die Tinte nicht mehr, den Füller aber endlich halten konnte, wurde der – leider bereits erwähnte – kleine, salzige Brühwürfel mein poetologisches Ideal, weil ihm jeder so viel, möglichst heißes Wasser und sonstiges hinzufügen kann, wie er für gut hält; und umgekehrt funktioniert es ebenfalls, man braucht nur eine entsprechende Form. Diesem Ideal will ich auch jetzt Ehre erweisen und mich, da mir zu meiner Person nichts mehr einfällt, nur noch herzlich bedanken für jene, die Sie mir zuteil werden ließen, als Sie mich aufnahmen in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung.