Albrecht Goes

Schriftsteller und Theologe
Geboren 22.3.1908
Gestorben 23.2.2000
Mitglied seit 1949

Vorstellung, im Rückblick geschrieben. Zweifelsucht gehört, glaube ich, nicht zu den wesentlichen Substanzen meines Lebensgeflechts; eher falle ich zuweilen einer gewissen Vertrauensseligkeit anheim; aber das weiß ich noch gut, daß ich damals, anno 1949, als ich mit Oskar Jancke, einem der Initiatoren des Akademievorhabens, ins Gespräch kam, voller Skepsis war: Wird ein Prosatext, wird eine Verszeile besser deshalb, weil ihr Autor einer Akademie angehört? ›An einer Seite Prosa wie an einer Bildsäule arbeiten‹ – so Nietzsches Forderung. Aber da sehe ich als Hintergrund doch eben die karge Stube von Sils-Maria und nicht einen Rundgesprächsraum mit Kaffee und Rauchzeug; und auch wenn es um Valérys Verlangen geht, die »zweite Strophe« zu finden, weil »der Gott« die erste Strophe freihin geschenkt hat, trachte ich nicht nach einer Akademieassistenz. Nein, wir sind doch Einzelgänger à tout prix. Und überdies: da ist die Schillergesellschaft, die Mozartgemeinde, die Bibliotheksgesellschaft, und alle haben ihre Angebote und ihre Ansprüche; und was mich angeht, so habe ich dann noch ein Amt, ein evangelisches Pfarramt, das mir keinen freien Sonntag gönnt und wenig Reisemöglichkeit. Und schließlich: wie kurz ist in der Welt der Weg vom wichtigen Tun bis zur Wichtigtuerei?

So mein Gemurmel damals. Aber dann gab es sich doch, daß man zusammentrat, und daß man den ungläubigen Thomas aus seinem Einsiedlerkrebsdasein herausholte, nicht für immer, aber doch für Stunde und Tag. 1949: das war ja ein Jahr des Anfangs, in Bonn und an anderen Orten. Du bist, so sagte man zu mir, und so sagte ich es schließlich auch zu mir selber, einer vom Jahrgang 1908, du hast noch mit einiger Wachsamkeit die Weimarer Republik erlebt, hast die Hitlerei überstanden und den Krieg. Früh im Leben hast du dir das abendländische Bündel geschnürt und – vielleicht sogar mit einigem Anstand – durch deine Jahre getragen, und hast in den Bereichen, die ›Sprache und Dichtung‹ heißen, das ABC gelernt, hast Verse, Spiele, Erzählungen und Besinnungen vorgelegt. Also: sei zur Stelle!

Wir werden nicht wie die Maîtres in Paris ein Dictionnaire fördern, aber das Wörterbuch des Unmenschen, das Sternberger, Süskind und Storz scharf beäugt haben, will noch immer attackiert werden, und Geschichte als böse Geschichte und als gute Geschichte will, daß mehr als einer da ist, der nicht vergißt. Und wenn die Grenzen nicht mehr Stacheldrähte sind, haben ein paar Abendländer Ausgaben genug, und wenn einer unter ihnen zudem noch Theologe ist, wird er einige Brückenbau-Aufträge eigener Strenge und Kühnheit entdecken.

Das war so die Rede. Ich sah noch nicht, wie ich mehr sein könnte als ein meist passives Mitglied; aber ich brachte doch einiges mit, was ich überall hin mitnehme, das schöne Hofmannsthalsche »Ich achte so gerne« zum Beispiel; Marie Luise Kaschnitz, wenn sie uns ihr Requiem las, sollte einen Hörer mehr haben, der die Worte aufnimmt wie Brot und Wein, und wenn dem Bruno Snell aus Hamburg die Reise nicht zuviel ist, darf mir meine Reise nicht zu weit sein ... Und was zählt noch? Meine Rebellion gegen die masochistische Schwarzinschwarzmalerei; meine Psalmenehrfurcht, die Goetheliebe, alle Fontanerei, die Mannomania (Thomas), das Christian-Morgenstern-Glück – und das alles eingebunden in tausend Takte Mozart und in die Hoffnung, wenigstens noch zweihundert Seiten schreiben zu können, die das weiße Papier wert sind, auf dem die dann geschrieben stehen, finis.