Leszek Żyliński

Germanist
Geboren 19.10.1954
Mitglied seit 2009

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Akademiemitglieder!


Als ich mit etwa zwölf Jahren, dem Rat meiner Mutter folgend, Deutsch zu lernen begann, kam ich selbstverständlich nicht auf die Idee, dass ich mich eines Tages einer so geschätzten Akademie würde vorstellen dürfen. Nun haben Sie mich durch Ihre Wahl geehrt und zugleich gezwungen, über meine Existenz als Germanist und Literaturhistoriker nachzudenken. Ihre Einladung gibt mir die Gelegenheit, über meine Sozialisation in der deutschen Sprache und über die deutsche und polnische Literatur, über ihre mögliche Verwandtschaft aus der Perspektive eines teilnehmenden Beobachters zu berichten.
Um es vorab zu sagen: Ich fühle mich in Ihrer Sprache nicht fremd, denn seit etwa vierzig Jahren bilden deutsche Sprache und Kultur in verschiedener Intensität meine Lebenswirklichkeit, und seit fünfundzwanzig Jahren versuche ich als Hochschullehrer neue Generationen angehender Germanistinnen und Germanisten in Polen für diese Sprache und Literatur zu begeistern.
Heute, in der Zeit einer zunehmenden sprachlichen Monokultur des Englischen, ist meine Aufgabe etwas schwieriger, als zu den Zeiten, in denen mich – einen jungen Doktoranden in Wrocław – mein großer Vorgänger in der Akademie, Professor Marian Szyrocki, über deutsche Literatur aufklärte. Aus diesem ehrenvollen Anlass will ich ein Wort der Dankbarkeit allen meinen Professoren nachschicken, die auch in den schlimmen Jahren des geteilten Europa an unseren Universitäten den Geist der Wahrheitssuche und intellektuellen Offenheit aufrecht hielten. Heute bin ich jemand, der junge Polen in deutscher Literatur und Kultur unterrichtet, mit seinen Büchern und Beiträgen im wissenschaftlichen Gespräch mit deutschen Kollegen steht, mit Anthologien, Aufsätzen und Rezensionen deutsche Literatur in seinem Land zu fördern versucht. Aber auch jemand, der gelegentlich den Deutschen einiges über die kulturelle Eigenart der Polen sagen möchte. Auf diesen Feldern sehe ich auch künftig meine Aufgaben; so können sie auf gedeihliche Weise mit Aktivitäten der Akademie verbunden sein.
Dass unsere Kulturen gar nicht so unterschiedlich sind, weiß ich nach den Jahren meiner Studien; dass wir trotzdem Vermittler und Übersetzer brauchen, ist eine andere Seite der Medaille und ein Tätigkeitsfeld für mich. In der Literatur brauchen wir keine Versöhnung, über die Politiker und Journalisten mit Vorliebe sprechen; was wir aber bräuchten, wäre etwas mehr osmotische Wirkung, die zunächst gegenseitiges Interesse und Empathie verlangt. Ansätze dazu gibt es. Einer der wenigen polnischen Autoren, die vor vielen Jahren in diesen Kreis aufgenommen wurden, war Józef Wittlin, ein exzellenter Romancier und Essayist, der mit seinem Buch Das Salz der Erde ein unvergessliches Bild des mitteleuropäischen Schicksals hinterlassen hat. Seine Freundschaft mit Josef Roth war ein Beispiel einer solchen Osmose, die darin gipfelte, dass sie ihre Werke gegenseitig kannten, dass Roth ein Vorwort zu Wittlins Roman verfasste und dieser Roths Romane ins Polnische übersetzte.
Ein gegenwärtiges Beispiel, das zwar nicht so weit geht, aber immerhin öffentlich positiv wirkt, ist das freundschaftliche Interesse, welches den Danziger Günter Grass mit Schriftstellern aus Gdańsk (unter anderem die auch in Deutschland bekannten Stefan Chwin und Pawel Huelle) verbindet und osmotisch fruchtbar für den literarischen Austausch sorgt. Nur haben bei diesen Kontakten die Polen fast immer den Vorteil, dass sie mit der deutschen Sprache viel vertrauter sind als umgekehrt ihre deutschen Partner mit der polnischen.
Das war einmal anders. Das beste Beispiel dafür liefert mein Landsmann, ein Thorner – Samuel Bogumil (Gottlieb) Linde. Dieser Bibliograph und Lexikograph ist 1771 noch im polnischen Toruń zur Welt gekommen, bevor die Stadt zwanzig Jahre später preußisch wurde. Der Vater kam aus Schweden, die Mutter war eine Deutsche. Nach seinem Studium in Leipzig arbeitete er eine Zeitlang an der dortigen Universität als Lektor der polnischen Sprache. Später beschäftigte ihn Graf Józef Ossoliński als seinen Bibliothekar, in weiteren Jahren war er Mitbegründer und Leiter des berühmten Warschauer Lyzeums. Deutsch war seine Muttersprache, Polnisch seine Leidenschaft. So schuf Linde ein bleibendes Werk, das zugleich ein Denkmal der polnischen Kultur ist. Fünfzig Jahre bevor die Brüder Grimm den ersten Band ihres Deutschen Wörterbuches drucken ließen, im Jahre 1804, gab Linde den ersten Band seines Wörterbuches der polnischen Sprache heraus. Innerhalb von zehn Jahren schloss er mit sechs Bänden seine Arbeit ab. Das Werk erschließt die polnische Sprache wie kein anderes zuvor; in einer politisch schlimmen Zeit bekamen die Polen damit eine handfeste Stütze für ihre Identität. Die 1200 Exemplare verkauften sich zunächst nur mühsam, doch in den folgenden Jahrzehnten erlebte das Wörterbuch neue Auflagen und dient bis heute als eine historische Quelle.
Sie sehen, es konnte auch so gehen. Aber ich begann zu träumen, zu dichten, das ist für mich in Ihrem Kreis vielleicht kein Wagnis.
Meine Damen und Herren, Sie haben mir mit Ihrer Entscheidung eine große Freude bereitet und eine große Ehre erwiesen. Aber Sie haben mir außerdem eine neue Legitimation für meine Arbeit geliefert. Für all das danke ich Ihnen sehr herzlich.