Sprachwissenschaftlerin
Geboren 12.9.1953
Gestorben 29.11.2019
Mitglied seit 2012
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen in der Akademie, sehr geehrte Damen und Herren,
aus dem Volksradio tönte Russisch, von der Amme hörte ich Ungarisch, von den Eltern mal Deutsch, mal Rumänisch – in den 1950er Jahren in Siebenbürgen, Rumänien, wo ich geboren wurde. Mit drei Jahren hatte ich noch immer nicht zur Sprache gefunden. Das sollte sich später ändern.
An der deutschen Schule in Kronstadt hatte ich das Glück, Goethe und Kafka, Kant und Schelling statt Marx und Engels lesen zu dürfen, unterrichtet von Lehrern, die in Tübingen promoviert und im Arbeitslager den Donaukanal ausgehoben hatten. Als mehrsprachige Studentin stand ich ganz oben auf der Rekrutierungsliste der Securitate und wurde vor die Wahl gestellt: Kooperation oder Kolchose. Stattdessen wählte ich die Ausreise und verließ meine Heimat – nicht im Kugelhagel von Grenzsoldaten wie drei meiner Klassenkameraden, sondern in einem Lufthansa-Flugzeug nach München. Mein Siebenbürger Deutsch klang fremdartig hier, und so fand ich Gefallen am Deutschen aus fremder Perspektive. Das Deutsche im Sprachenvergleich wurde mein Hauptanliegen. Ich hatte Probleme mit Hierarchien, grammatischen wie politischen. Erstere löste ich in meiner Dissertation. Grammatische Hierarchien, letztere bedrängen mich bis heute.
In meinem Buch über Kasus und semantische Rollen, mit dem ich habilitierte, verließ ich wieder die Grenzen meines germanistischen Faches und beschäftigte mich mit kaukasischen, nordamerikanischen und anderen fremden Sprachen. Warum steht in unserer Sprache der Handelnde als grammatisches Subjekt im Mittelpunkt – wir fragen: wer tat es? – und in anderen Sprachen das betroffene Objekt – was wurde getan? Und warum verstehen wir 'hier wird geraucht' stets so, dass Personen rauchen, wo doch auch Kaminofen und Vulkane rauchen können?
Solche und ähnliche Fragen treiben mich bis heute an, zuerst als wissenschaftliche Assistentin in München, dann als Professorin für Sprachwissenschaft in Heidelberg, Stuttgart und Köln. Was charakterisiert einen Handelnden? Was macht eine Sache zum betroffenen Objekt? Das sind große, immer noch ungelöste Fragen der Sprachwissenschaft, die ich immer wieder gerne verlasse, um mich scheinbar Harmloserem zu widmen: dem kleinen Komma und dem Zerlegen eines Buchstabens in seine kleinsten Bestandteile, um zu erfahren, was diese uns über den Lautwert des Buchstabens verraten. In unserem, dem lateinischen Alphabet, aber auch in den Runen, in der arabischen Schrift und in der Tifinagh-Schrift der Tuareg haben meine Mitarbeiter und ich eine Buchstabensemiotik entdeckt, ein Beweis für das implizite Wirken der menschlichen Sprachgenialität, die mich immer wieder ins Staunen versetzt und die Freude an der Sprache aufs Neue nährt.
Ich freue mich, in der Akademie für Sprache und Dichtung meine Neugierde und Freude an der Sprache mit Gleichgesinnten teilen zu dürfen, und danke allen Beteiligten, die dies möglich gemacht haben.