Elisabeth Edl

Literaturwissenschaftlerin und Übersetzerin
Geboren 16.10.1956
Mitglied seit 2009

Johann-Heinrich-Voß-Preis

Im Zeichen von Sprache und Dichtung hier einzutreten, ist mir nicht nur Ehre und Vergnügen, ich könnte mir dieses Wortpaar sehr gut auch als Motto über meiner Arbeit vorstellen. Die Dichtung sowieso, aber mit der Sprache im ganz praktischen Sinne habe ich in meinem Beruf vielleicht noch unmittelbarer zu tun als die literaturwissenschaftlichen Kollegen strikt akademischer Richtung, denn ich soll die Literatur nicht nur verstehen, deuten und erklären, sondern sie in ihrer Sprachgestalt selber neu erschaffen. Da ich eingeladen bin, mich und meine Arbeit hier vorzustellen, füge ich sogleich hinzu, dass mir die akademische Seite der Medaille nicht unvertraut ist. Nach dem Studium von Romanistik und Germanistik in Graz habe ich zwölf Jahre mit der Lehre von deutscher Sprache und Literatur verbracht, in der ehrwürdigen Stadt Poitiers, die manch einem noch aus den Geschichtsbüchern vertraut ist, und vor allem am dortigen germanistischen Institut der Faculté des Lettres et Langues. Damals begann ich parallel zur Lehrtätigkeit mit dem Übersetzen französischer Literatur, mit Simone Weil und Julien Gracq, bis ich dann Mitte der neunziger Jahre beschloss, nunmehr in München, mich ganz diesem Beruf zu widmen.

Seitdem ist es mein täglich Brot, Dichtung von einer Sprache in die andere zu bringen. Natürlich wäre es verlockend, noch weitere Begriffspaare für diese Arbeit zu finden; ich dächte da sogleich an aparte Dinge wie Wissenschaft und Kunst oder Bescheidenheit und Größenwahn. Wissenschaft und Kunst, das dürfte auf der Hand liegen. Lange hat sich das Übersetzen von großer klassischer Weltliteratur allzu fern abgespielt von den Erkenntnissen, die in der Literaturwissenschaft über diese Werke erarbeitet worden sind, sei’s in historischer, sei’s vor allem auch in ästhetischer Hinsicht. Was »meine« Sprache und Literatur betrifft, so wurde mir die Herausforderung immer klarer: Die so überaus reiche französische Romankunst des 19. Jahrhunderts gilt zurecht als der folgenreichste Impuls für das moderne Erzählen, das steht in jedem Lexikon; die deutsche Gestalt dieser Bücher hatte aber mit dem, was ästhetisch ihren Rang ausmacht, zumeist nichts zu tun. Nur ein sprechendes Beispiel: Was den epochemachenden Rang von Madame Bovary am Anfang der Moderne ausmacht, ist aus keiner deutschen Fassung zu entnehmen. So bin ich überzeugt, dass erst mit der gründlichen literaturwissenschaftlichen Erkenntnis die Basis gelegt ist, auf der mit der sprachlichen Kunst des Übersetzens begonnen werden kann. Das eine geht nicht ohne das andere, aber die künstlerische Arbeit ist am Ende dann doch autonom und muss sich ganz alleine ausweisen. Daraus entwickelte sich mir langsam der Plan, der jetzt für diese und die nächsten Jahre mein Hauptgeschäft ist, der Plan, die großen, emblematischen Werke des französischen Romans in Neuausgaben vorzulegen, die in Übersetzung und Kommentar ihrem Rang entsprechen. Das waren zunächst die beiden Hauptwerke Stendhals, Rot und Schwarz und Die Kartause von Parma, das sind jetzt diejenigen Flauberts, Madame Bovary und L’Éducation sentimentale, und ich habe keine Angst, dass mir danach der Stoff ausgehen wird.

Womit wir, nach Dichtung und Sprache, Wissenschaft und Kunst, wie von selbst beim dritten Wortpaar angekommen sind, Bescheidenheit und Größenwahn. Bescheiden ist der Übersetzer, weil er dem Publikum nicht neue, eigene Bücher zumutet, sondern sich in den Dienst der so unendlich bedeutenderen monstres sacrés stellt. Größenwahn ist ihm zu bescheinigen, weil er glaubt, in seiner deutschen Sprache das Buch genausogut schreiben zu können wie sein hochverehrter Meister in der französischen. Um mich dieses Wahns hier gleich schuldig zu bekennen, gebe ich zu, dass ich es stets etwas trivial gefunden habe, wenn man immer wieder erklärt, Übersetzungen müssten sich nicht nur durch das Verständnis des Originals, sondern auch durch eine anspruchsvolle deutsche Sprache ausweisen. Ja, natürlich, was denn sonst. Ich habe es mir da lieber etwas anders zurechtgelegt: Wenn einer Stendhal in meiner Übersetzung liest, dann soll er Stendhal lesen, Stendhal und nichts anderes, ganz exakt so, wie ihn auch der Franzose auf Französisch liest. Nur eben mit dem winzigkleinen Unterschied – auf Deutsch.

Ehe Sie mich nun fragen, wie ich dieses weiß Gott recht paradoxe Programm denn einzulösen gedächte, erinnere ich Sie ganz schnell noch einmal an die bescheidene Seite des Wahns: Ich möchte unsichtbar bleiben, sehen soll man nur ihn: Stendhal, Flaubert, oder wem immer ich die Stimme leihe, Julien Green oder Philippe Jaccottet, um nur noch zwei ganz entscheidende Begegnungen meines Lebens zu nennen. Und warum? Ganz einfach: aus Liebe. Ich liebe meine Autoren so sehr, dass ich die Kirche sehen will, in der Julien Sorel auf Madame de Rênal schoss, und die Gärten der Villa Melzi, in denen Henri Beyle spazierenging. Ich liebe Die Kartause von Parma so sehr, dass ich mir wünschte, ich hätte sie selbst geschrieben. Sie müssen sich die Übersetzerin als glücklichen Menschen vorstellen, denn sie hat Mittel und Wege gefunden, genau das zu tun.

Nach der Skizzierung meiner Arbeit sage ich Ihnen zum Schluss auftragsgemäß nur noch, wen Sie sich in die Deutsche Akademie gewählt haben und was es meinesfalls mit dem Attribut deutsch auf sich hat. Deutsch ist in sieben europäischen Ländern Amtssprache; meine Familie aber stammt aus keinem von ihnen, sondern aus Prigrevica Sveti Ivan in der Vojvodina, das meine Eltern 1944 unfreiwillig in Richtung Russland verließen. 1948 kamen sie nach Österreich; erst 1955 erhielten sie gerade noch so rechtzeitig die Staatsbürgerschaft, dass ich ein Jahr später nicht als Staatenlose in der Steiermark geboren wurde und mich dann später auf meinen Weg zwischen der deutschen und der französischen Literatur machen konnte. Und dass er in unserem zerrissenen Europa bis in diese Akademie führte, dafür sage ich Ihnen meinen herzlichen und sehr tief empfundenen Dank.