Erklärung zu den Vorwürfen in Deutschlandradio Kultur

2. November 2015

Die Erklärungen sind nicht an die Presse gegangen, sondern ausschließlich auf dieser Website veröffentlicht worden.

Ludger Fittkau wirft Heinrich Detering, dem Präsidenten der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, im Deutschlandradio Kultur vor, er habe den Laudator der Merck-Preisträgerin Gabriele Goettle in skandalöser Weise öffentlich brüskiert, indem er in beispielloser Weise vorab seine „polemische Sprachverwendung“ kritisiert habe. Und er legt ihm den Rücktritt nahe. Als Motiv unterstellt er die Absicht, den Merck-Konzern vor den pharmakritischen Äußerungen des Laudators und der Preisträgerin in Schutz zu nehmen.

„Mehr sagte er nicht“, behauptet Herr Fittkau. Das ist unrichtig. Wörtlich hat Heinrich Detering über den Laudator gesagt (und so ist es auch im vorab verteilten Redetext zu lesen): „Ich empfinde einige seiner Ausdrücke als so verfehlt, dass ich die Regelverletzung für unumgänglich halte, die ich mit diesen Worten gerade begehe. Ich kommentiere damit in keiner Weise die Meinungen, die Herr Köhler nun vorbringen wird, sondern distanziere mich, um Missverständnisse zu vermeiden, nur von dieser Art ihrer Formulierung.“

Gemeint war damit der polemische Gebrauch der Wörter „Endsieg“ für den NATO-Einsatz im Jugoslawienkrieg und „Anschlussgebiet“ für die neuen Bundesländer, die Verwendung des Wortes „Euthanasie“ sowie eine auf Pegida bezogene Wendung, die Heinrich Detering als gedankenlose Beleidigung jener Dresdner erschien, die sich gegen Pegida engagieren.

Wir wissen das, weil Heinrich Detering seine Bedenken vorab mit dem Erweiterten Präsidium besprochen hat, das seine öffentliche Bemerkung ausdrücklich wünschte, und mit der Vollversammlung aller anwesenden Akademie-Mitglieder, die sie ebenfalls einhellig unterstützte. Auch mit Herrn Köhler selbst hat er sich vor der Veranstaltung darüber verständigt, dass er seine Rede in dieser Weise kommentieren werde.

Die Firma Merck, die den Preis finanziert (ohne alle Auflagen, ohne eigenes Mitspracherecht), spielte in diesen Überlegungen keine Rolle. Die Akademie hat der Schriftstellerin Gabriele Goettle für ihr gesamtes Werk, zu dem auch das jüngst erschienene, entschieden pharmakritische Buch »Haupt- und Nebenwirkungen« gehört, den Merck-Preis zuerkannt. Die Firma Merck hat hier wie in sämtlichen früheren Fällen keinerlei Einfluss auf die Beratungen und die Entscheidung der Jury genommen.

Aris Fioretos, Wolfgang Klein, Gustav Seibt
Vizepräsidenten der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung


Herr Köhler wünschte, folgenden Kommentar zur Erklärung des Präsidiums abzugeben:

9. November 2015

»Erklärung zu den Vorwürfen des Akademie-Präsidiums. Der Vorwurf des „polemische(n) Gebrauch(s) der Wörter“, den das Präsidium der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung gegen mich erhebt, bedarf der Erläuterung des von mir Gesagten:

Erstens: Der Begriff „Endsieg“ wurde erstmals – ironisch - gebraucht von Karl Kraus in seiner Glosse „Vor dem Endsieg“ (Die Fackel, 15. Oktober 1918, S. 149). Gemeint war damals das bevorstehende Ende des Krieges („Serbien muß sterbien“). Seit 1999 allerdings darf man – dazu kann ich nichts - nur noch ernsthaft vom Endsieg gegen den Nachfolgestaat Jugoslawien reden. Zuvor war so etwas nie gelungen.

Zweitens: Die „neuen Bundesländer“ als Anschlussgebiet zu bezeichnen, entspricht einem inneramtlichen Gebrauch, dem ich mich füge. Theo Waigels Bundesfinanzministerium war schon im Januar 1990 mit den Vorbereitungen für eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten betraut. Gert Haller, der engste Mitarbeiter des damaligen Finanzstaatssekretärs Horst Köhler – er war später als dessen Chef des Bundespräsidialamtes tätig – schrieb über die Zeit von Dezember 1989/Januar 1990: „Die weitreichenden Überlegungen, den Anschluss der DDR über den Artikel 23 des Grundgesetzes herzustellen, durfte man überhaupt nicht in den Mund nehmen.“ Denn: „Das Wort ‚Anschluss‘ war tabu, weil man befürchtete, mit solchen Vokabeln würde die Aufbruchstimmung in der DDR massiv beeinträchtigt.“ (Gert Haller in Theodor Waigel: Tage, die Deutschland und die Welt veränderten – Vom Mauerfall zum Kaukasus, 1994, S. 151)

Drittens: Ausgangspunkt für die moderne Euthanasie war das Kruppsche Preisausschreiben vom 1.1.1900 zu den Folgerungen, die sich aus der Deszendenztheorie für die Gesetzgebung des Staates ergeben müssen. Wichtigster Folge war 1920 die Schrift von Alfred Hoche und Karl Binding Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens, die eine Reformbewegung fortschrittlicher Ärzte auslöste. Sie musste sich nach 1933 nur noch der willig bereitgestellten Vernichtungsmittel zur Lösung ihres Problems bedienen. Heute benutzen wir lieber die Formulierungen „Sterbehilfe“ oder „sozialverträgliches Frühableben“ (so – 1998 noch ironisch - der damalige Bundesärztekammer-Präsident Karsten Vilmar).

Viertens: Wenn ich im Zusammenhang mit PEGIDA vom wieder ausgebrochenen Faschismus in Dresden spreche, kann dies logischerweise weder eine gedankenlose, noch eine gedankenvolle Beleidigung jener Dresdner sein, die sich gegen PEGIDA engagieren.
Ich bin gern bereit, mich – wie schon vom Präsidenten der Akademie angeregt – einer Diskussion über meinen Gebrauch der Wörter auf der Frühjahrstagung der Akademie zu stellen.«

Otto Köhler, Laudator