Günter Busch

Art historian
Born 2/3/1917
Deceased 23/6/2009
Member since 1977

Sigmund-Freud-Preis

Sie hatten die Freundlichkeit, mich in den Kreis der Mitglieder Ihrer Akademie zu wählen. Dafür danke ich Ihnen. Gern unterziehe ich mich der Übung, Ihnen etwas, wenig genug, über meine Person zu sagen.

Am 2. März 1917 bin ich in der Freien Hansestadt Bremen geboren, wo ich auch jetzt und wieder lebe. Mit der Freiheit ist es so eine Sache – das wäre vielleicht bei anderer Gelegenheit zu erörtern. Mein Vater war Kaufmann, er importierte Rohwolle und handelte damit. »Die Wolle« dünkt sich noch heute etwas Besseres als »die Baumwolle« – von der synthetischen Faser zu schweigen. Sie ist überdies ein »spekulativer Artikel«, wie man bei uns sagt: die Preise schwanken zeitweilig sehr. D. h. die Jahre zwischen den Kriegen, in denen ich aufgewachsen bin, waren gerade auch in meinem Elternhaus kaum durch Wohlleben gekennzeichnet: es ging bescheiden, zu Zeiten sehr bescheiden zu. Das habe ich als Jüngster von drei Geschwistern freilich erst spät gemerkt. Darin mögen Sie einen grundsätzlichen, persönlichen Mangel erkennen: daß ich die Dinge überhaupt spät merke. Jedenfalls habe ich eine kaum getrübte Jugend gehabt und genossen. Meine Eltern waren – im Gegensatz zu heutigen Erkenntnissen über Eltern im allgemeinen – sehr nett. Früh zeigte sich bei mir eine gewisse Begabung im Zeichnen und Malen, die auf dem Gymnasium durch einen ungewöhnlich phantasievollen Zeichenlehrer gefördert wurde. So konnte ich nach dem Abitur erst in Bremen, dann in Berlin »Kunst studieren« mit dem Ziel, auch Zeichenlehrer zu werden – »etwas Solides«, wie mein Vater meinte. Für das Abschlußexamen als Kunsterzieher, wie es dann vollmundiger hieß, hatte ich eine kunstgeschichtliche Arbeit zu schreiben, die den Prüfenden besser gefiel als meine künstlerischen Produkte. Man riet mir, Kunstgeschichte als zweites Studium an das erste anzuhängen. Auf diese Weise ließen sich zudem mögliche politisch-weltanschauliche Implikationen und Komplikationen einstweilen vermeiden. Auf Wunsch meines sehr geduldigen Vaters legte ich die berufene Examensarbeit über Dürerzeichnungen dem Direktor der Bremer Kunsthalle Emil Waldmann vor, dem ich seit Schülertagen als regelmäßiger Besucher seiner Vorträge ohnehin erste, nachhaltige Anregung zu danken hatte. Waldmann war ein hochgebildeter und zugleich mit Augen begabter Museumsmann, dem dazu das Wort in Schrift und Rede aufs Glücklichste zur Verfügung war – die Verbindung dieser drei Qualitäten ist selten in unserem Fach. Er riet zu – und sagte dem jungen Mann außerdem, was ich nicht vergessen habe: »Wissen Sie, in diesem Beruf darf man nicht zu klug sein wollen – ja, besser ist man ein bißchen dumm!«

An der Berliner Universität habe ich dann bei Wilhelm Pinder, Ludwig Heinrich Heydenreich und Gerhart Rodenwaldt Kunstgeschichte und Archäologie gehört – nebenbei auch ein bißchen Philosophie bei Nicolai Hartmann und Musikgeschichte bei Georg Schünemann. Auch diesen Lehrern glaube ich einiges zu danken. Pinder war ein Redner und improvisierend Formulierender, der ans Genialische streifen konnte, gelegentlich unausstehlich »expressionistisch« und chauvinistisch. Doch war er alles andere als regimehörig. Er war außerdem ein wirklicher Gelehrter. Heydenreich, der Leonardo-Spezialist, hochbegabt und weltläufig, was damals selten war, verkörperte so etwas wie die Zukunfts-Hoffnung seines, unseres Fachs – bei ihm wollte ich promovieren. Rodenwaldt endlich war ein hervorragender Kenner und Deuter der Antike, ein künstlerischer Mensch durch und durch, wie dies bei den Archäologen beinahe häufiger ist als bei uns Kunstgeschichtlern – denken Sie an Ludwig Curtius oder Ernst Buschor. Unvergeßlich war seine Führung durch die herrliche Abguß-Sammlung des Berliner Instituts. Seine vorsichtigen Worte und wenigen Gesten ließen den Gips vor unseren Augen wahrhaft zum Marmor werden. Zur Sprache hatte er ein besonderes Verhältnis. Form, Verantwortung gegenüber der Form, der sichtbaren und der des Worts – das ist mir bei ihm zum ersten Mal bewußt geworden, wie ich es später dann auf vergleichbare Weise bei Max J. Friedländer habe erfahren dürfen.

Das alles spielte sich wohlgemerkt bereits im Schatten, ein wenig im Windschatten des Krieges ab – ein körperlicher Mangel hatte mich vom Soldatendienst, viel unverdientes Glück von einer der sonst denkbaren Ersatzverpflichtungen freigehalten. Bei mehreren Vorlesungen hieß es damals einleitend: »Meine Damen, mein Herr ...« Das war ich. Zum Frühjahr 1943 holte mich Karl Maria Swoboda als wissenschaftlichen Assistenten an die Graphische Sammlung in Prag. Meine »Ausnahmestellung« und gewisse persönliche Fürsprache meiner Lehrer verschafften mir schon vor Abschluß des Studiums diese Position, die meinen Neigungen entsprach, und die es mir nebenbei gestattete, meine Dissertation über »Das Unvollendete in der Handzeichnung und die Bildzeichnung« fertigzustellen. (Für den Eingeweihten: es war wahrscheinlich die erste Arbeit über das »Non-finito« als kunstgeschichtliches Problem). Zum Januar 1945 wurde ich durch Emil Waldmann als Kustos an die Kunsthalle in Bremen geholt – als Nachfolger Wilken von Altens, der kurz zuvor durch eine Bombe erschlagen worden war. Ich war 27 Jahre alt. Anfang Februar konnte ich mit meiner Familie das bis dahin friedlich scheinende Prag verlassen – drei Tage vor dem Angriff auf Dresden. Die böhmische Hauptstadt als Gesamtkunstwerk und historisch-politischer Brennspiegel, Karl Maria Swoboda, als Lehrer der Wiener Schule und als Mensch waren und blieben bestimmende Eindrücke für die Zukunft. Ende März nahm sich Emil Waldmann in unmittelbarem Anschluß an die Zerstörung Würzburgs das Leben. Obwohl er ein erklärter Gegner des Regimes war, sah er offenbar keine Zukunft mehr vor sich.

So fand ich mich, gegenüber meinen Altersgenossen, ein Kriegsgewinnler in jedem Sinne, bei Ende des Krieges als einziger Wissenschaftler an einem verwaisten, halb zerstörten Kunstmuseum, das zudem die schwersten Verluste in seinen Sammlungen erlitten hatte – u. a. gingen 45 Handzeichnungen und Aquarelle von Dürer verloren, die berühmten Landschaften darunter. Ich fühlte mich ins Wasser geworfen und mußte schwimmen. Vorübergehend, zu meinem Schutze gegenüber der Besatzungsmacht, mit der ich mich angelegt hatte, wurde Rudolf Alexander Schröder mein Direktor, mein »Regenschirm«, wie er sagte. Durch ihn empfing ich einen ersten Hinweis auf die mir bis dahin ganz unbekannte Welt des eigentlich »Literarischen«. 1950 wurde ich zum Direktor des Museums ernannt. Seitdem bin ich dort tätig – und hatte fast immer mit älteren Menschen zu tun. Als Alibi für meine Gegenwart in Ihrem Kreis muß der Hinweis auf wenige Buchtitel, dazu die Tätigkeit als gelegentlicher Katalog- und Zeitungsschreiber genügen. Damit könnte ich schließen.

Doch seien mir wenige Worte mehr über das Haus gestattet, dem ich vorstehen darf. Die Kunsthalle Bremen, noch heute zu gutem Teil von dem 1823 gegründeten privaten Kunstverein getragen, ist eine bürgerliche Gründung aus einem bürgerlichen Jahrhundert. In diesem Verein und an diesem Hause haben kurioserweise literarische Anregung und Mitwirkung seit einem Prolog des Goethe-Freundes Nikolaus Meyer aus Hameln 1849 (»Drum ward auch ihr, die schüchtern ein Obdach heischt, Der schönen Kunst, in Wirren der Gegenwart, Kühn des Asyles Schutz errichtet ...«) oder Rilkes Festspielszene zur Erweiterung des Hauses 1902 (»Auch hier ist Kirche, hier wird Gott gegeben, und wo Du stehst, da ist geweihtes Land ...«) mehrmals eine Rolle gespielt. Gustav Paulis, des ersten wissenschaftlichen Direktors Memoiren Erinnerungen aus 7 Jahrzehnten geben neben seinem schriftstellerischen Werk als Kunsthistoriker Zeugnis von hohem literarischem Vermögen. Sein Freund Schröder, der schon Genannte, hat die Entwicklung des Hauses mit Rat, Hilfe und Zuspruch fast ein Leben lang begleitet, später in engstem Austausch mit Waldmann, der als Autor von Rang und Grazie bereits erwähnt wurde. Besonders aber ist Alfred Walter Heymel zu nennen, Vetter Schröders und Freund Julius Meier-Graefes, Dichter und Dilettant, Herrenreiter und Sammler, dessen im Tiefsten unbürgerlicher Begeisterungsfähigkeit es zu danken ist, daß dieses deutsche Provinzmuseum eine der schönsten Sammlungen, wenn nicht die schönste, französischer Kunst vom 18. bis zum 20. Jahrhundert in Deutschland besitzt. Womit in unsere bedächtige, aufs Angelsächsische orientierte Stadt (wie übrigens seit Jahrhunderten schon durch den Bordeaux-Wein) ein Element des Französischen gekommen ist, das wir weiter gepflegt haben und hoffentlich weiter pflegen werden.

Diese relativ weltoffene Konstellation ist in Deutschland selten; sie hat mich veranlaßt, zweimal der Versuchung zu widerstehen, größere Museen zu übernehmen. Wobei ich mich mit dem Argument getröste, daß eine solche bürgerlich-kulturelle Position am Ort, in der Provinz, nach Weise etwa der Winterthurer Stadtpfeiferei, die unter Hermann Scherchen zum weltbekannten Orchester wurde, auch in heutiger Zeit ihren Sinn und ihre Berechtigung haben könnte – allen ubiquitären Tendenzen zum Trotz. Sie haben also offenbar ein konservatives Mitglied hinzugewählt, was man Ihnen vorwerfen wird – Konservator, der ich ohnehin bin. Man müsse nicht zu klug sein wollen in unserem Fach, hatte Emil Waldmann mir geraten, ja – ein bißchen dumm. Jedenfalls diese, hier ungewöhnliche, vielleicht nützliche Qualität hoffe ich als meinen bescheidenen Beitrag in Ihren Kreis einzubringen.