Vladimir Sorokin

Writer
Born 7/8/1955
Member since 2012

Verehrter Präsident, sehr geehrte Mitglieder der Akademie für Sprache und Dichtung!
An einem Oktoberabend im Jahr 1988 unterschrieb ich in einem Berliner Café meinen ersten Vertrag über die Publikation eines meiner Bücher in deutscher Sprache. Seitdem wurden praktisch alle meine Bücher in diese Sprache übersetzt, was mir in vielerlei Hinsicht rätselhaft ist. Im Grunde genommen leben meine wichtigsten Leser in Russland und Deutschland. Man könnte versuchen, dieses Phänomen mit Hilfe der Geopolitik, der Astrologie oder der Psychoanalyse zu erklären, aber glauben Sie mir, ich als Autor habe es bislang nicht verstanden. Klar ist jedoch eins: Es gibt etwas, was mich unlösbar mit dem deutschen Leser verbindet, und damit auch mit der deutschen Sprache.
In der Schule habe ich Englisch gelernt. Die deutsche Sprache sickerte in mein kindliches Bewusstsein durch viele sowjetische Kriegsfilme und auch durch die Erinnerungen von Verwandten an die deutsche Okkupation. In meinen Studentenjahren fühlte ich die Schönheit der deutschen Sprache bei einem Konzert von Dietrich Fischer-Dieskau im Moskauer Konservatorium. Zum ersten Kontakt mit der lebendigen deutschen Sprache kam es im Moskauer Underground. Aus Bochum waren zwei junge Slawisten nach Moskau gekommen – Georg Witte und Sabina Hänsgen. Ich freundete mich mit ihnen an, und durch sie wurde meine Liebe zur deutschen Sprache geweckt. Dank dieser jungen Menschen erlebte ich nun das moderne Deutschland, seine Kultur, seine Lebensart. Zu den mir bekannten und beliebten Größen wie Wagner, Bach, Paul Klee und die deutsche Fußballnationalmannschaft der 1970er Jahre gesellten sich Joseph Boys, Fassbinder, die Einstürzenden Neubauten, Nina Hagen, Klaus Schulze und Hans Albers.
Ernsthaft Deutschunterricht nahm ich erst später, als ich mit einem Stipendium des DAAD ein Jahr in Berlin lebte. Seit dieser Zeit sind zwanzig Jahre vergangen, aber meine Liebe zu dieser Stadt und der Sprache sind nur stärker geworden.
Die Nachricht von meiner Aufnahme in die Reihen der Akademiemitglieder hat mich mit aufrichtiger Freude erfüllt. Nun werde ich zumindest eine Antwort haben auf die Frage: Warum werden Sie in Deutschland so viel gedruckt?
Besonders freut es mich auch deshalb, weil ich in Russland bisher in keine Akademie aufgenommen wurde.
Ich danke Ihnen!