Jürgen Habermas

Philosopher and Sociologist
Born 18/6/1929
Member since 1983

Sigmund-Freud-Preis

Seit etwa zwei Jahrzehnten bewege ich mich in einem Verlag, wo Schriftsteller und Wissenschaftler unter einem Dache leben. Ich finde dort, unter gleichsam experimentellen Bedingungen, die Erfahrung bestätigt, daß wir dazu neigen, Schriftstellern prima facie mit größerer Achtung zu begegnen als Wissenschaftlern. Die Akademie, der anzugehören ich nun die Ehre habe, übersetzt dieses Reputationsgefälle sogar in den quantitativ meßbaren Abstand zwischen zwei Preisen. Angeregt durch das Tagungsthema,* habe ich mir dafür folgende Erklärung zurechtgelegt: Schriftsteller verdienen einen Vorschuß an allgemeiner Anerkennung, weil sie bei ihrer Arbeit von der Substanz der eigenen Lebensgeschichte zehren müssen. Wissenschaftler scheinen sich vom existentiellen Risiko der Ausbeutung und der Aufbereitung persönlicher Erfahrungen eher entlasten zu können. Sie werden deshalb von mir, wenn ich auf Biographisches angesprochen werde, nicht mehr als die üblichen Daten der äußeren Lebensgeschichte erwarten dürfen. Ich bin 1929 in Düsseldorf geboren, stamme aber aus dem Bergischen – dort bin ich in einer Kleinstadt aufgewachsen. Mein Studium hat mich von Göttingen über Zürich nach Bonn geführt – an eine Universität, wo die Zeitläufe die Kontinuität der Sachen und der Personen kaum berührt hatten; die Nazi-Zeit und deren Ende hatten keine sichtbaren Einschnitte hinterlassen. Übrigens verdanke ich meine fortdauernde Neigung zu publizistischer Tätigkeit der frühen Bestätigung durch Karl Korn und Hans Paeschke, die damals, Anfang der 50er Jahre, nicht zögerten, die Manuskripte eines unbekannten Studenten zu veröffentlichen. Seitdem habe ich in beiden Organen regelmäßig geschrieben: im Feuilleton der FAZ bis Anfang der 70er Jahre, im Merkur bis heute. Den disziplinierten Umgang mit der deutschen Sprache habe ich freilich erst im Institut für Sozialforschung gelernt, als Assistent von Adorno. Adorno konnte eine Sache gar nicht anders kritisieren als anhand ihres sprachlichen Ausdrucks; so übersäte er auch meine Manuskripte mit stilkritischen Bemerkungen. Beim Schreiben stehe ich heute noch unter dem Gewissenszwang dieser Annotationen. Auf der Suche nach einem Habilitationsvater für den fertigen »Strukturwandel der Öffentlichkeit« habe ich, bis ich auf Wolfgang Abendroth stieß, die alte Universität auch von ihrer Rückseite kennengelernt. Die ersten Jahre der akademischen Lehrtätigkeit in Heidelberg waren für mich, unter den schützenden Händen von Gadamer und Löwith, eine glückliche Zeit. Mit der Rückkehr nach Frankfurt, auf Horkheimers Lehrstuhl, begann der Ernst des Lebens. Ich will Sie mit den weiteren Details eines vom Arbeitsmarkt begünstigten Werdegangs nicht behelligen. Vor dem Hintergrund des mittelständischen Geredes über Eliten und Eliteuniversitäten möchte ich noch eine Erfahrung erwähnen, die sich mir seit meiner zweiten Rückkehr an die Universität Frankfurt einprägt. Die Anstrengungen der Zwischenzeit, eines dem Anschein nach privilegierten Jahrzehnts in der institutionalisierten Forschung, lassen mich die Freiheiten der unterinstitutionalisierten Lebensform eines deutschen Philosophieprofessors deutlich empfinden. Es ist guter Brauch, sich bei dieser Gelegenheit für die Wahl zum Mitglied Ihrer Akademie zu bedanken. Das möchte ich hiermit tun.