Ernst Augustin

Writer
Born 31/10/1927
Deceased 3/11/2019
Member since 1992

Meine Damen und Herren,

über mich zu sprechen, fällt mir relativ leicht, da ich mein Leben lang nichts anderes getan habe – in meinen Büchern. Ich zitiere: Ich bin der Psychotherapeut ... (punktpunktpunkt), der in seinem blauen Haus sitzt wie der Schlag einer Uhr. Oder ich gehe als der wegen seiner Grobheit gefürchtete Dr. Schnabel, der Schere, Messer, Licht mit sich führt und ein Stück Gummischlauch. Die Medizin, meine Damen und Herren, ist ein unbeleuchtetes Gebäude, wer dort hineingeht kann zurückerwartet werden, muß nicht zurückerwartet werden. Als Sohn eines Oberstudiendirektors einem akademischen Beruf verpflichtet, trat ich eines Tages (1950) durch das Tor der Berliner Charité, an der sichtbar die Zeit heruntergeflossen war, und begann inbrünstig Freud, Jung und Kretschmer zu studieren, schrieb nach Hause: Liebste Mama, das Studium der Architektur macht viel Freude, ist auch kürzer und weniger kostspielig. Um dann acht Jahre später meine Ersparnisse zusammenzunehmen, um nach Afghanistan auszuwandern (1958).

Ach Afghanistan, in meinen Träumen liegt es immer im Regen. – Die ausgesägten Berge, die Kakaowüsten, die ich jeden Monat einmal durchfuhr, um meine Tschopans und deren Unverstand zu behandeln. In meinen Träumen heißt Regen: Gefühl. Obwohl es in Afghanistan niemals geregnet hat. Die feuchten Küsten Limons liegen in einem anderen Jahrzehnt, das auch schon vergangen ist. Der Hut, mit dem man Wasser schöpft, das Überlebensmesser, im Griff der Kompaß, im Schraubverschluß die Hängematte. Ich trug – auf die Gefahr hin, mich lächerlich zu machen – schlangenbißsichere Gamaschen, und auf einer Karte Costa Ricas hatte ich meine jeweilige Position eingezeichnet, die nicht allein falsch war, sondern die ganze Karte war falsch, die Flüsse liefen in die falsche Richtung, und Siquirres oder Guapiles gab es nicht. Mit dieser Karte hätte ich einige Verwirrung stiften können.

Oder sollte ich lieber mit München beginnen, der leuchtend Ertragreichen, wo ich lang genug blieb, um im Verlauf von zwölf Jahren eine Anzahl Bücher zu schreiben, den Polarlichtschlitten, Turm und Keller, das Vergnügungsschiff, Rote Damen tragen in roten Sälen Rot. Keine im Sinne des Verlegers ertragreiche Zeit. Doch zwölf Jahre zuvor, als ich an einem Sommerabend München zum ersten Mal schwarz vor den apfelsinenfarbenen Alpen stehen sah und sich durch eine Luftspiegelung auch noch das abendliche Verona hereinspiegelte – an vier Tagen im Jahr sind sogar die Glocken zu hören –, da dachte ich, mein Gott, es ist ja auch so eine Art Indien, ein wenig will ich bleiben.

Bis heute. Wo aber und auf welcher vertrackten Zeitspur ich nun wirklich laufe, darüber bin ich mir selbst nicht ganz im klaren. Manchmal, meine Damen und Herren, beschleicht mich das Gefühl, eine Unperson zu sein. Und vielleicht sollte ich am Ende doch einmal aus meiner Anonymität treten. Es sieht ja so aus, als sei ich überall dabeigewesen – ich zitiere aus meinem Mahmud –, ich bin über den Khyber gewandert und durch die große Wüste Tarr, ich habe in den Gängen der Paläste gesessen, dicht an der Wand, wo die Armen ihren Platz haben. Ich bin selber ein Stück Wand, wenn ich ehrlich sein soll, nicht ganz drinnen, aber auch nicht draußen. Ja, ich nehme tiefen Anteil am Weltgeschehen, obwohl mich das alles nicht betrifft – die helle Luft in der Frühe betrifft mich, der Geruch von Holzfeuern, das herzzerreißende Geschrei der Esel. Soll man mich deswegen arm nennen? Ich sah den Spiralturm von Bamir, ich sah Rosengärten, die so schön waren, daß Vögel tot von den Bäumen fielen, vor soviel Schönheit. Räuber lassen mich mit meinen Schätzen ziehen, weil sie nicht wissen, daß ich sie habe, Männer und Weiber sprechen über mich hinweg, und ich bedanke mich für alle Wohltaten. Doch würde es mir auch nichts ausmachen, wenn an der einen oder anderen Stelle meine eher vielschichtige Existenz durchscheinen möge. Von feinerer Herkunft? Ich will das offen lassen, vielleicht aber eine Andeutung – aus einem höheren (hohen) Haus, einer nobleren Familie? Aus Alexandrien?

Ich danke Ihnen.