Andreas Steinhöfel

Children's Book Author
Born 14/1/1962
Member since 2016

Verehrter Herr Präsident, geehrte Mitglieder, liebe Gäste,
ich wollte, mein Vater oder auch meine Mutter, oder eigentlich beide, hätten bei meiner Zeugung etwas mehr Überlegung walten lassen. Hätten sie sich bloß mit der gebotenen Sorgfalt vorgestellt, wie viel von ihrem Tun abhing – dass es sich dabei nämlich nicht nur um die Erschaffung eines vernunftbegabten Wesens handelte, sondern dass dessen hoffentlich einst schöner Körper und Geist, außerdem gewisse Eigenheiten des Gemüts und somit – Gegenteiliges war ja noch nicht bewiesen – das Glück der ganzen Familie von jenen Launen und Stimmungen beeinflusst werden mochte, die im Moment der Zeugung für meine Eltern gerade die aktuell maßgebenden waren – hätten also meine Eltern all dies nicht nur bedacht, sondern auch dementsprechend gehandelt, so spielte ich, davon bin ich fest überzeugt, sicherlich eine andere Rolle in der Welt als diejenige, in welcher ich hier vor meinen geneigten Zuhörern stehe.
Womit selbstredend nicht gesagt sein soll, dass ich hier ungern stehe. Einige von Ihnen, geneigte Zuhörer, liebe Anwesende, haben den Text sicherlich erkannt; es sei mir bitte verziehen, wenn an der explizit Deutsch sich nennenden Akademie für Sprache und Dichtung ich mich mit einem englischen Text vorstelle, mit dem Beginn nämlich von Lawrence Sternes 1767 vollendetem Roman Tristram Shandy. Das Werk gibt vor, eine Biographie zu sein, tatsächlich aber untersucht es, in permanenter Auseinandersetzung mit den Philosophen vor allem des 18. Jahrhunderts, die Grundlagen menschlicher Kommunikation und somit, vor allem, die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten von Sprache. Tristram selbst, der vermeintliche Held der Geschichte, erblickt dann konsequenterweise auch erst in Band 3 des neunbändigen Werkes endlich das Licht der Welt.
Warum erzähle ich Ihnen das?
Geht es ums Biographische – will man herausfinden, wie ein Gegenüber tickt –, so befrage man dazu am besten dessen Eltern und Geschwister, die Kinder und Partner, Freunde und Liebhaber; die Feinde nicht zu vergessen. Selbstauskünfte sind trügerisch, es gibt keine ehrliche Biographie. Es gibt bestenfalls verifizierbare Anhaltspunkte, aber wie soll ich meine Persönlichkeit Ihnen erkennbar machen durch eine Aneinanderreihung banaler Eckdaten: Nach Abschluss eines Studiums der englischen Literatur kam ich zufällig zum Schreiben; ein Beruf, den ich nie angestrebt hatte, den ich aber bis heute ausfülle, bloß eben nicht aus Berufung. Außerdem mag ich Waschbären.
Fort also von derlei Oberflächlichkeiten. Ehrlicher drückt der Autor sich aus in der von ihm verfassten Literatur ... geradezu authentisch aber spiegelt er sich wider in seinen literarischen Vorlieben. Ein Bücherregal ist daher ein höchst intimer Ort; persönlich würde ich so manchem Gast eher mein Schlafzimmer zeigen als meine Lektüre; weshalb ich, um doppelter Sicherheit willen, irgendwann meine Lieblingsbücher ins Schlafzimmer ausgelagert habe.
Darunter auch Tristram Shandy. Sie finden mich in der Struktur dieses Werkes, in dem sich auf wundersame Weise das 18. Jahrhundert mit der Postmoderne kreuzt. Der weitschweifige Erzählgestus wird immer wieder gebrochen und gebändigt von hübschen Überraschungen und Unverschämtheiten: Es gibt im Tristram keine nachvollziehbare narrative Chronologie; dafür gibt es gänzlich leere Kapitel oder solche, die aus nur einem Satz bestehen. Aus romanhafter Erzählung wird Essay, wird Traktat, wird notarielle Niederschrift, und es spaziert darin herum ein Held, der permanent im Zwei­ oder Mehrkampf liegt mit den Unbilden eines unfallträchtigen Lebens, das sich darstellen würde als eine Aneinanderreihung eigentlich trivialer Zwischenfälle, würden dieselben nicht von Tristrams Vater wortreich zu metaphysischen Katastrophen hochstilisiert.
Wer mag und will, verehrte Anwesende, findet Auszüge meiner Persönlichkeit – meines Herzens, meines Verstandes und meiner Seele – in weiteren literarischen Werken: In den Wolken des von Harry Mulisch entdeckten Himmels, zwischen den Setzlingen im geheimen Garten von Frances Hodgson­Burnett, im Kampf gegen verstreichende Zeit, um den als Bürgen zurückgelassenen Freund vorm Henker zu retten; ganz sicherlich bei langen gemeinsamen Spaziergängen mit einem heranwachsenden Schriftsteller namens David Copperfield, aber auch in den Wandelgängen eines abgeschiedenen mittelalterlichen Klosters, dessen Chronist uns Namen hinterlässt, nichts als Namen. Mein Name ist Andreas Steinhöfel, ich wurde geboren am 14. Januar 1962, und ich freue mich sehr, hier zu sein.