Reiner Kunze

Writer
Born 16/8/1933
Member since 1977

Georg-Büchner-Preis
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Herr Präsident, meine Damen und Herren, zum Akademiemitglied wird man bekanntlich nicht unmittelbar vom lieben Gott gekürt. Die Kürenden haben nicht einmal Flügel, zumindest keine sichtbaren. Nur jemand, der nie an einer Akademiesitzung teilgenommen hat, könnte meinen, Akademien seien eine Art Vorhimmel. Zum Akademiemitglied wird man von Kollegen gewählt, von gleichgesinnten oder wohlgesonnenen, und so bin ich – und ich stehe ja hier, weil ich Ihnen sagen soll, wer ich bin – Ihr Schuldner.
Aus den erzgebirgisch-vogtländisch-thüringischen Wäldern kommend, bin ich wieder in den Wald gegangen – nach Niederbayern, ans Ufer der Donau unterhalb von Passau, das bekannt ist für seine Überschwemmungen, und angesichts dieser Gefahren und solcher Entfernung von Deutschland ist es tröstlich, ordentliches Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung zu sein.
Ich bin Ihr dankbarer Schuldner.
Langeweile ist das Fegefeuer für den Geist, und um nichts zu tun, wodurch die Akademie eine Art Vorhölle werden könnte, möchte ich darauf verzichten, Ihnen meine biographischen Daten zu offerieren.
Und sonst: Weiß ich so genau, wer ich bin?
Ich habe einmal ein Haus angestrichen, ein kleines Bauernhaus, ein sogenanntes Altenteil, das wir unter der Bedingung, es instand zu setzen, billig vermietet bekommen hatten. Ich hatte noch nie ein Haus angestrichen. Die Besitzerin lieh mir einen ausgedienten Wurstkessel und wies mich darauf hin, daß ich den Kalk über Nacht weichen lassen müsse. Mein Vater, gelernter Klempner und überwiegend als Steinkohlenbergmann tätig gewesen, riet mir, zwei Handvoll Salz hinzuzugeben. Außerdem hatte ich verschiedentlich beobachtet, daß der Maler solange Farbpulver beimischt, bis ihm der Farbton zusagt, und so kaufte ich anderthalb Kilo Trockenfarbe Ocker-hell und tat, wie mir geheißen. Als ich alles Pulver zugesetzt hatte – die nächste Drogerie war fern –, begann ich zu streichen.
Tags darauf führten auf dem gegenüberliegenden Hang eine Bäuerin und die erwachsene Tochter unserer Wirtin beim Rübenverziehen folgendes Gespräch:
»Welcher Maler hat denn Euer Haus angemalt?«
»Das war der Herr Kunze.«
»Ob der unser Haus auch machen würde? So einen Ockerton hat’s im Dorf überhaupt noch nicht gegeben!«
»Der Herr Kunze ist doch kein Maler.«
»Dann hat er aber Maler gelernt.«
»Soviel ich weiß, hat er studiert, und dann war er Lehrer an der Universität.«
»Du willst mir doch nicht weismachen, daß jemand, der kein Maler ist, so einen Ockerton zustande bringt! Das schafft doch der zehnte Maler nicht!«
»Der Herr Kunze ist Schriftsteller.«
»Na, was sich heute so alles Schriftsteller nennt.«