Kathrin Röggla

Writer
Born 14/6/1971
Member since 2015

Homepage

Meine Damen und Herren der Akademie, sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
was sagst du da nur?, habe ich mich gefragt. Na klar: Vorfahrt für Hausheilige!, habe ich mir geantwortet, das ist doch eindeutig bei Selbstvorstellungen, vor allem in Köthen. Vorfahrt für Hausheilige ist in so einer Situation die Lösung für alles: Zuerst lässt du das Grüppchen mit den Namen auftauchen, das erwartet man von dir: Witold Gombrowicz führt die Parade an, er ist ja auch der Spezialist für Selbstvorstellungen aller Art. Seine Yvonne, die Burgunderprinzessin legte den Hang für die Verkehrung, die Inversion. Elfriede Jelinek danach schnell den Punk, die Drastik, die Groteske, Hubert Fichte den poetischen Journalismus des Hybriden, das ästhetische Netz, Alexander Kluge den Realismusbegriff und die Form des sanften Hin und Her zwischen theoretischen, literarischen und filmischen Überlegungen – die Hausheiligen sind heute immer umtriebig und unterwegs, allerdings nicht dorthin, wohin ich sie haben will, schließlich gehorchen sie mir keineswegs, sie sind auch nicht als die William­Kentridge­artige Parade vorstellbar, als die ich sie gerne hätte. Wer in meinem Leben den Boxkampf mit mir selbst erfunden hat, ob der amerikanische Undergroundregisseur Harmony Korine, Groucho Marx oder Ernst Jandl, ob Christoph Schlingensief oder eher Milo Rau den Hang zum Selbstwiderspruch gelegt haben, ist einfach nicht mehr aus ihnen herauszubekommen – die Sache mit den Hausheiligen ist ja auch schon längst in Bewegung geraten und weitergezogen, ganz zum Schluss sind noch für einen Moment ein paar spektakuläre Monster wie die Punkband The Fall zu sehen, d. h. mehr ihre krasse Gestik, die mich vermutlich in meinem Innersten zusammenhält.
Genug von den Hausheiligen, habe ich mir dann überlegt, schnell sind die einem ohnehin ausgetrieben, wenn die Nervosität einsetzt, und die setzt ja heute sehr schnell ein auf den zahlreichen Eisenbahnfahrten, die wir Schriftstellerinnen und Schriftsteller gar zu oft unternehmen. Wir sind ja manchmal mehr Handelsreisende als Handlungsreisende, zwar mit erhöhtem Mehrwertsteuersatz unternehmerisch schlecht aufgestellt, und so fahren wir meist zweiter Klasse durch das unwegsam gewordene Feld. Ich muss sagen, ich bin gut geübt darin. Als 1971 in Österreich Geborene habe ich zwar keine Kriegskindheit zu bieten, bin eher bereit für Schönwettersoziologie, wie mir der Katastrophensoziologe Lars Clausen einmal lachend verraten hat (auf eine Nachfrage nach gesellschaftlichen Narrativen und realitätswirksamer Fiktion). Und hatte doch zumindest einen Vater in Kriegsgebieten. Algerien, Irak, Burundi, Sri Lanka waren Nebenorte meiner Salzburger Kindheit, die ich aufgrund einer zu kranken Mutter nur teilweise selbst gesehen habe. Mein persönlicher Hintergrund hat mich zumindest als Teil jener Katastrophengrammatik tauglich gemacht, die sich mehr und mehr in unseren medialen Haupt-­ und Neben-/Nervensystemen ausbreitet.
Die definitive Einschulung in den medialen update-Wahnsinn habe ich wie so viele am 11. September erhalten, durch live-Anwesenheit vor Ort konnte sich ein Begriff von »Aktualität« in mir formulieren, der mir letztendlich klarmachte, dass literarische Antworten nicht nur zweisprachig, sondern zweizeitig ausfallen müssen. Eine Schnelligkeit benötigt eingebaute Langsamkeit und umgekehrt. Dass Literatur sich dabei immer zwischen medialen Feldern, realen Erfahrungsräumen, Ökonomie und Theorie hindurchbewegt, diese Einsicht wird man mir möglicherweise als Berlinerin ohne Berliner Kindheit verzeihen.
Vielleicht sollte ich sagen, dass ich erst sehr spät zu etwas wie einer Vorstellung von eigener Biographie gekommen bin – zu etwas, das irgendwie zusammengehört. Österreich brachte ich nicht mit Deutschland zusammen, meine beiden Eltern und Herkünfte brachte ich nicht zusammen, die äußeren Krisengebiete des Vaters mit den inneren Kriegskindheitsgebieten meiner Mutter, meine Faszination an Sprachkritik, Avantgarde und mein Interesse für das, was man gesellschaftliche Wirklichkeit nennt, die Realismusfrage, passten nicht zusammen, die autonome Szene Kreuzberg, Punk und Ionesco passten nicht zusammen, Mutterschaft und künstlerische Getriebenheit nicht, Postdramatik und Literatur nicht, noch weniger Foucault und Derrida, Žižek, Deleuze und Butler! Alles in allem ein rundherum recht alltäglicher Zustand, das ist doch nicht erzählbar! – Ich hatte ja bisher auch nicht den Drang, dies alles zusammenzubringen, versuchte ich es, arg kleinlaut geworden, erneut. Der Selbstwiderspruch hat mich ja stets gereizt, aber nicht als voluntaristischer, sondern einer, der sich ins Widerständige hinein bewegt. Hochtrabende Worte, ich weiß, doch es reicht in diesem Zusammenhang nicht aus, wenn man nur vom Theater spricht, welches eines Tages eine Schriftstellerin ausspuckt, oder von einer Schriftstellerin, die mit Theaterstücken zurückwirft, von der Dokumentaristin, die sich der Fiktion zuwendet oder die Königsdisziplin Roman von außen besichtigt und dabei flüstert: Wäre nicht die Prosa meine zweite und längste und größere Heimat, ich wäre längst verloren. Besser ist es, konkret zu erzählen, wie das Theater meine erste Liebe war, allerdings auch der Ort vieler Niederlagen, Murphy’s law als Theatergesetz – was soll’s: Der Stolpergang bleibt, er ist der einzige, der mir vernünftig erscheint in Zeiten wie diesen. Und hier stehe ich nun: Danke, dass Sie mich in diese Akademie aufgenommen haben!