Tadeusz Dąbrowski

Poet and Essayist
Born 28/10/1979
Member since 2023

An die Günstigen

Sie haben mich erwählt. Unmöglich.

Sie haben mich also erwählt. Warum so spät?

Ich lese die Liste der Mitglieder. Über die Hälfte lebt nicht mehr. Also werde auch ich sterben.

Aber vorher werde ich mich auf diesen Versammlungen mit ihnen treffen.

Vielleicht sind sie weniger toxisch als die polnischen Literaten. Oder wenigstens belesener.

Ich bin besorgt, ob ich in diesem illustren Kreis meine Beschränktheit werde verbergen können.

Die deutsche Sprache ist schön. Wirklich.

Meine Großmutter Gertruda, geboren 1923 in Zoppot, kam immer zu spät zum Zug. Diese Fähigkeit erlaubte ihr zu überleben, denn 1945 kam sie zu spät zur Wilhelm Gustloff. Nach dem Krieg blieb sie in Sopot und fühlte sich zu gleichen Teilen als Polin und als Deutsche. Ihr verdanke ich es, dass ich die deutsche Sprache schön finde.

Und auch einer Germanistin, bei der ich Privatunterricht bekam. Ich war damals sieben. Sie war zeitlos, eine blonde Frau von kindlicher Statur, die mich im Morgenmantel in der Farbe eines Mäusefells empfing, sich mit einer Tasse Kakao in den Sessel setzte und die Beine übereinanderschlug. Für sie begann ich Goethe zu lesen. Obwohl sie die Lieder von Nena lieber mochte. Wenn ich sie ausfindig machen und ihr sagen würde, ich sei Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung geworden, könnte ich wahrscheinlich mit einer schnellen Wiederholung des Genitivs rechnen. Oder zumindest mit einem Kakao.

Aber kommen wir auf Goethe zurück, dessen Gedicht An die Günstigen mir nach Jahren in die Hände fiel:

Johann Wolfgang Goethe

Dichter lieben nicht zu schweigen,
Wollen sich der Menge zeigen.
Lob und Tadel muß ja sein!
Niemand beichtet gern in Prosa;
Doch vertraun wir oft sub rosa
In der Musen stillem Hain.

Was ich irrte, was ich strebte,
Was ich litt und was ich lebte,
Sind hier Blumen nur im Strauß;
Und das Alter wie die Jugend,
Und der Fehler wie die Tugend
Nimmt sich gut in Liedern aus.

Einer meiner Meister, Tadeusz Różewicz, äußerte in einem Fernseh-Interview, die Biographie eines Dichters stelle schöpferisches Material dar. Einen ähnlichen Gedanken formulierte Adam Zagajewski in einem Gespräch mit mir, das in Sinn und Form publiziert wurde, ich zitiere: „Sowohl die Dichter als auch die Philosophen fragen nach dem Sinn der Welt. Die Dichter antworten anders, mit dem Konkreten, mit ihrem eigenen Leben. Das Dichterleben ist gewissermaßen ein Werkzeug, der Philosoph dagegen verbirgt sein Leben eher, es sei denn, er nähme sich die Dichter zum Vorbild. Die Philosophie neigt zur Abstraktion, sie entfernt sich vom unmittelbaren Erleben, für den Dichter wäre die Entfernung vom Konkreten und vom Alltag eine tödliche Bedrohung.“

Der Lebenslauf als Stoff – wie soll man das verstehen? Wahrscheinlich so: Das Schreiben von Gedichten ist weder Beruf noch Hobby, sondern eine Art Haltung gegenüber der Welt, die selbst dann zur Mitteilung, zur Botschaft oder zum Zeugnis wird, wenn sie nicht die Form eines Gedichts annimmt. In anderen Worten: Das Dichter-Sein geht über das Wort hinaus, überschreitet den Rahmen des Schreibens sensu stricto; der Lebenslauf ist eine Art Anmerkung zum Gedicht oder sogar umgekehrt: Das Schreiben ist eine Anmerkung zum Palimpsest des Lebens.

Das Gedicht von Johann Wolfgang Goethe ist ein wunderbares Beispiel für die Einheit von Leben und Schreiben, denn – wie sein Held behauptet: „Was ich irrte, was ich strebte, / Was ich litt und was ich lebte, / Sind hier Blumen nur im Strauß.“ Der Strauß, den wir Leben nennen, enthält daher außer literarischen Texten auch die Abenteuer der Jugend und die Erfahrungen des Alters, edle und leichtsinnige Taten, Sünden und Tugenden. Doch ermuntert der Dichter uns auf diese Art und Weise nicht dazu, unseren Schwächen nachzugeben? Nicht, wenn wir zu reimen verstehen. Und hier dürfen wir den meisten zeitgenössischen Dichtern danken. Aber im Ernst: „Ein guter Reim muss sich nicht reimen“, sagt der postavantgardistische Dichter. Johann Wolfgang Goethe fragt im Kern danach, ob man mit Schönheit seine Seele freikaufen kann. Und er bejaht es.

Als Kind bekam ich oft die dumme Frage zu hören: Wen liebst du mehr, Mama oder Papa? Ich sagte nichts. Mit diesem Schweigen waren alle zufrieden. Es war ein poetisches Schweigen. Metapher. Oxymoron. Ist doch die Dichtung die Flucht vor dem Deklarativen, sogar vor der Verantwortung, sie hebt den Begriff der Verantwortung auf und ersetzt ihn durch die Einheit der Gegensätze, ein Oxymoron.

Das Poetische, das meiner Überzeugung nach am besten in der Figur des Oxymorons verkörpert ist, versetzt dem Schematismus unserer Wahrnehmung und Ordnung der Welt einen Schlag. Wir ordnen die Wirklichkeit nach dem Prinzip von Gegensätzen: warm – kalt, Tag – Nacht, Liebe – Hass. Und wer hat festgelegt, dass Rot das Gegenteil von Grün sein soll? Die Spezialisten für den Straßenverkehr? Ein gelungenes Oxymoron erlaubt uns, die Hitze des Frostes zu spüren, das Weiß der Blindheit oder die Sinfonie der Stille. Doch was geschieht, wenn die Metapher ethische oder moralische Werte betrifft? Nehmen wir zum Beispiel „erhabene Niederlage“, „malerisches Gemetzel“ oder „zärtliche Gewalt“. Ist eine solche Metapher unmoralisch? Ist es schlecht, dass sie uns anspricht, dass sie uns kraft ihrer Schönheit berührt? Wenn sie den Raum einer solchen Metapher betreten, kaufen Dichter und Leser sich durch die Schönheit von der Verantwortung frei. Das versucht Goethe uns in dem Gedicht „An die Günstigen“ zu sagen, in dem – erinnern wir uns – folgende Worte fallen:

Was ich irrte, was ich strebte,
Was ich litt und was ich lebte,
Sind hier Blumen nur im Strauß;
Und das Alter wie die Jugend,
Und der Fehler wie die Tugend
Nimmt sich gut in Liedern aus.

Sünde und Tugend sollten nicht Hand in Hand gehen, aber sie tun es. Weil wir Menschen sind. Zum Glück kann die Poesie sie so reimen (dem „Reim“ jubeln wir auch die „Metapher“ unter), dass wir uns über ihre Koexistenz wundern, vielleicht sogar in Begeisterung geraten, statt in ein Schuldgefühl zu verfallen. Der Reim, der gute Reim, ist immer das Ziel, nicht die Voraussetzung. Um so zu reimen, wie Goethe es will, muss man nicht nur ein Gehör haben, sondern auch ein Bewusstsein für dieses Gehör, das heißt, den Sinn für Selbstreflexion und den Nerv des Gewissens. Ich glaube daran, dass die Akademie eine solche Gemeinschaft des bewussten Gehörs ist. Daher freue ich mich unendlich darüber, dass ich ein Teil von ihr geworden bin.

Von dieser Stelle aus möchte ich meiner vor zwei Jahren verstorbenen deutsch-polnischen Großmutter sagen, dass ich sie liebe und dass keine apophatische Poetik imstande ist, die Lücke auszudrücken, die sie hinterlassen hat.

Ich danke meiner Übersetzerin Renate Schmidgall sowie Michael Krüger, Ilma Rakusa, Jan Wagner und Lilian Ranc für die Freundschaft und Wärme, und allen Mitgliedern der Akademie für ihre Gunst.

Meiner Germanistin aber möchte ich diese Zeilen eines Liedes von Nena widmen:

Die Zeit ist reif für ein bisschen Zärtlichkeit
Irgendwie, irgendwo, irgendwann.


Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall