Hanno Helbling

Writer, Translator and Journalist
Born 18/8/1930
Deceased 8/2/2005
Member since 1981

Johann-Heinrich-Voß-Preis

Im 13. Jahrhundert lebte ein Dichter meines Namens in der Steiermark. In der Schlacht bei Sempach, 1386, sind vier meiner Vorfahren gefallen, drei von ihnen auf der falschen Seite. Im 15. Jahrhundert wurde in Innsbruck ein Helbling-Haus gebaut und reichlich bemalt; seine Besitzer führten eine Krähe im Wappen. Um 1500 warfen wir uns in die feste Stadt Rapperswil, wo wir uns vier Jahrhunderte lang gehalten haben. Im Jahr 1650 erhob uns Kaiser Ferdinand III. in den Ritterstand mit der Erlaubnis, uns nach unseren Gütern zu nennen; aber wir hatten keine Güter, deshalb blieben wir bürgerlich.

Von meinen Vorfahren habe ich die Gewohnheit übernommen, mit den »bestehenden Verhältnissen« unzufrieden zu sein, aber kaum etwas zu ihrer Verbesserung beizutragen. Ein geborener Kritiker? Ich hätte Kunstrichter werden sollen, oder Kunst-Scharfrichter. Ich hätte Autoren in den Staub werfen und aus dem Staub wieder aufheben, hätte Dichterinnen erfinden und wieder abschaffen können. Männer hätten mich gefürchtet und gehaßt, Frauen mich angstvoll geduldet. Aus der Herrlichkeit ist nichts geworden.

Sondern ich habe Geschichte studiert, in Zürich, wo ich 1930 geboren bin, in Neapel am Croce-Institut, in München bei den Monumenta Germaniae Historica, in Rom auf der Vatikanischen Bibliothek, habe gelehrte Arbeiten publiziert. 1958 trat ich in die Redaktion der Neuen Zürcher Zeitung ein und war damit für den Journalismus endgültig verloren. Ich bin dort seit einiger Zeit für das verantwortlich, was wir immer noch »Feuilleton« nennen; an anderen Blättern gibt es Kultur-Redaktionen, die Erfahrung lehrt aber, daß man Kultur nicht redigieren kann, es sei denn in totalitärer Absicht, und die liegt uns fern.

Was man hingegen kann, ist informieren: über Kunstleistungen, über Ergebnisse und Entwicklungen in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, Philosophie, Theologie. Wir haben uns in der Redaktion so eingerichtet, daß sich niemand nur mit Literatur befaßt, sondern jeder etwas zu der alten Universitas litterarum beiträgt – zur Bildung, wenn Sie so wollen. Wir wenden uns an anspruchsvolle Leser, weil für anspruchslose schon genug getan wird; wir sind elitär, und wir wollen es bleiben.

Ich danke den Mitgliedern der Deutschen Akademie für die Aufnahme in ihren Kreis. Die Liste der geistes- und kirchengeschichtlichen Studien, denen diese Auszeichnung gelten mag, will ich Ihnen ersparen. Für den Fall, daß auch meine Übersetzungsarbeit gemeint war, lese ich Ihnen eines der letzten Gedichte Leopardis, dem der sonst so melancholische Dichter den Titel »Scherzo« gegeben hat – Scherz:

Als ich, ein Knabe noch,
die Musen bat, dem Lehrling beizustehen,
da nahm mich ihrer eine bei der Hand,
und während mancher Stunde
macht ich mit ihr die Runde,
die Werkstatt anzusehen.

Sie wies mir den Bestand
zuerst des Kunstgerätes,
die wechselnde Verrichtung
sodann, wo sich ein jedes
zur Arbeit nützlich fand
an Prosa und an Dichtung.

Ich sah mich um und fragte:
»Wo ist die Feile denn?« Die Muse sagte:
»Sie taugt nicht mehr; wir lassen sie beiseit.«
Und ich: »So mögt ihr sie
nicht wieder schärfen, wenn sie stumpf geworden?«
Sie sprach: »Das müssen wir, doch fehlt die Zeit.«