Albrecht Schöne

Literary scholar
Born 17/7/1925
Member since 1980

Johann-Heinrich-Merck-Preis

In ähnlicher Lage wie ich hat Felix Krull mit dem ersten Satz seiner Selbstdarstellung gestanden, es beschleiche ihn ein flüchtiges Bedenken, ob er »diesem geistigen Unternehmen nach Vorbildung und Schule denn auch gewachsen« sei (wie schon sein Frankfurter Mitbürger, dem hochstapelnd nahezukommen er auch sonst bemüht war, dergleichen Dichtung und Wahrheit ein »immer bedenkliches Unternehmen« nannte). Mir wird ein Memoirenwerk freilich nicht abgefordert. Nur fünf Minuten lang soll ich hier reden. Aber während dem zögerlichen Kind immerhin Thomas Mann die Feder führte, steht mir ein solcher Ghostwriter nicht zu Diensten. Um so mehr bedrängen mich die Bedenken, die dem Hochstapler zukommen. Ernstlich im Zweifel, ob ich dem geistigen Unternehmen dieser Akademie nach Vorbildung und Schule und in manch anderer Hinsicht auch gewachsen sei, weiß ich nicht einmal so recht, wie ich mit dieser kurzen Selbstdarstellung zu Rande kommen soll.

Ein Verzeichnis dessen, was ich geschrieben habe, hat Ihnen schon vorgelegen, als die Zuwahl neuer Mitglieder auf Ihrer Tagesordnung stand. Und was einen Lebenslauf betrifft, so hat mich das letzte Jahrbuch der Akademie darüber belehrt, daß es beim Schulmeister, Gelehrten und Kritiker (zu denen ich doch gehöre) keine eigentlich mitteilenswerten Bezüge gebe »zwischen dem, wie einer lebt und was er schreibt«. Ob so einer »einmal Tellerwäscher oder Zuckerrohrschneider war und wen er geliebt hat«, sei »durchaus irrelevant für das, was man in eine Akademie zur Pflege der deutschen Sprache und Literatur einzubringen hat«.*

Ganz sicher bin ich dessen ja nicht. Einer meiner Vorfahren im sechzehnten Jahrhundert wurde im Beisein eines deutschen Kurfürsten und zweier Herzöge mehrere Tage lang der Folter unterworfen und auf dem Marktplatz von Gotha dann lebendigen Leibes in vier Teile zerstückelt. Diese Geschichte vom Gevierteilten habe ich vom Kinderbett aus meinem Vater wohl ebenso häufig abverlangt wie meiner Mutter Grimmsche Märchen – und jetzt eben beschäftigen mich die mörderische Geschichte der Inquisition, der Ketzer- und Hexenverfolgungen und ihre Spuren in Goethes Walpurgisnacht.

Oder: Meine Großväter waren Geistliche. Ich habe sehr viel mehr noch auswendig gelernt als heute die Konfirmanden – und mich später für den großen Säkularisationsprozeß einer Umsetzung der in Bibel und Gesangbuch vorgeprägten sprachlichen Formen in die weltliche Sprache der Dichter interessiert.

Oder: Mein Vater wurde 1933 amtsenthoben und dann strafversetzt. Ich war damals sieben Jahre alt, müßte beinahe sagen, ich hätte im Wörterbuch des Unmenschen das Buchstabieren gelernt, habe dann jedenfalls am eigenen Leib die Verführungsgewalt erfahren, die der Sprache innewohnen kann – und habe später über die politische Lyrik dieser Zeit nachzudenken versucht.

Oder: Seit zwanzig Jahren betreibe ich Literaturwissenschaft an der Göttinger Universität, lebe ich in Niedersachsen, einem Reiter- und Jägerland – und meine doch, ohne diese Vorgabe wäre mir der Göttinger Ortsheilige Lichtenberg, dessen experimentierende Konjunktive die Entdeckerleidenschaft des Physikers in ein auf die menschlichen Dinge gerichtetes Möglichkeitsdenken überführten, oder wäre mit Goethes Harzreise, Die Brüder der Jagd / Auf der Fährte des Schweins und sein rätselhafter Ritt durch das Wintergebirge so nahe nicht gerückt.

Ich will das nicht fortsetzen. Sonst wird doch noch ein eingekleidetes Schriftenverzeichnis daraus und ein verkappter Lebenslauf.

Wie ein Schulmeister lebt und was er schreibt, mehr noch: was er so erlebt und wie er dann schreibt, ist gewiß nicht sonderlich mitteilenswert, aber ganz ohne den Zusammenhang darum doch nicht, der das Zerstückelte einem Sinn näherbringt, welcher aufs Ganze geht. Als ich dem Krieg und der Gefangenschaft entkommen war, unverdient, wie wir Davongekommenen alle, bin ich für lange Zeit ein Waldarbeiter gewesen. Denke manchmal, bei den Holzfällern, Jägern und Reitern habe ich etwas von dem gelernt (eher dort als in den Schulen, Universitäten, Bibliotheken), was handwerkliche Präzision ist und gespannte Aufmerksamkeit und vollkommene Versammlung; Lust an großer Anstrengung, an weit ausgreifender Bewegung, an Spurensuche und Beutemachen. Ich wollte schon, so könnte ich lesen und nachdenken und schreiben. So mich vielleicht auch als ein nicht ganz unnützes Mitglied dieser Akademie erweisen.