Ruth Klüger

Writer and Literary scholar
Born 30/10/1931
Deceased 6/10/2020
Member since 1994

Wie stellt man sich vor, wenn man eine Autobiographie geschrieben hat? Ist es nicht so, als wolle man sagen: ich bin das Original eines Selbstportraits und hier ist ein Schnappschuß? Allerdings bietet sich hier die Gelegenheit zu rechtfertigen, wie ich in erster Linie dazu kam, ein ichbezogenes Buch zu schreiben.
Mein Leben ist zwar kein typisches aber freilich doch ein paradigmatisches Leben unseres Jahrhunderts gewesen. 1931 geboren, erlebte ich die dreißiger und vierziger Jahre, die Zeit der Verfolgung, des Kriegs und des Exils, als Verfolgte und später als Ausgewanderte. Das habe ich in dem erwähnten Buch weiter leben. Eine Jugend darzustellen versucht. In den braven fünfziger Jahren war ich eine brave amerikanische Hausfrau, die ihre kleinen Kinder erzog und den Haushalt versorgte, möglichst billig kochte (weil das Geld knapp war) und ihr eigenes Brot buk. Aus dem Käfig dieses Vorstadtlebens bin ich in den unruhigen und unruhestiftenden sechziger Jahren ausgebrochen, studierte Literaturwissenschaft in Berkeley, demonstrierte gegen den Vietnam-Krieg mit den Kindern im Schlepptau, immer besorgt, sie nicht ins Tränengas der Polizei laufen zu lassen, doch entschlossen, ihnen jede Grundlage für die provozierende Frage zu nehmen: »Und was hast du damals Schöngeistiges getrieben?«
Danach gab es die Frauenbewegung: ich mischte mit, so gut ich konnte. Doch in den stilleren, produktiveren siebziger Jahren habe ich vor allem gearbeitet und bin älter geworden und hatte endlich genug Geld, um nicht jeden Sommer etwas dazuverdienen zu müssen, sondern gelegentlich ins alte Europa zu reisen und mein altmodisches Deutsch aufzumöbeln.
In den satten achtziger Jahren war ich im engeren Fachkreis bekannt geworden (unter anderem als Herausgeberin des German Quarterly) und folgte einem Ruf an eines der selbstgefälligsten Institute der Welt, an eine der amerikanischen Privatuniversitäten, die sich die Ivy League, den Efeubund oder die Efeubande, nennen. Dort verbrachte ich einige selbstgefällige Jahre als ordentliche Professorin, bis ich eines Morgens in den Spiegel blickte und mir sagte, »Hier bist du fehl am Platz« – und zurückging zu dem demokratischeren öffentlichen Hochschulsystem, das mich ausgebildet und gefördert hatte.
Bei diesem Blick in den Spiegel waren auch meine Kategorien von Erlebtem, Gelesenem und Gedachtem wie ein Kartenhaus übereinander gefallen, nachdem ich mich jahrelang bemüht hatte, sie reinlich gesondert auseinanderzuhalten. Um auf historisch neutralem Boden zu bleiben, hatte ich seinerzeit in Berkeley über das barocke Epigramm promoviert. Jetzt baute ich meine neuen Kartenhäuser wie’s kam und fing an, über Themen zu schreiben, die mir hautnah waren, in diversen Aufsätzen und eben auch als Autobiographin. Und wenn meine Laufbahn, wie ich mir einbilde, im Einklang mit dem Zeitgeist verläuft, so bestärkt der Erfolg dieser Arbeiten bei der Kritik und der Leserschaft bis hin zu meiner Wahl, dank Ihrer Stimmen, in diese Akademie, meine Vermutung, daß die neunziger Jahre vielleicht als ein Jahrzehnt der Bestandsaufnahme in die Geschichte eingehen werden. Das letzte Jahrzehnt des zweiten Jahrtausends ein Jahrzehnt der Besinnung, kann das sein? Persönlich bin ich jedenfalls in das Alter geraten, wo man sich fragt, was die vertane Zeit bedeutete, wie sie zu deuten ist, ob da eine Leistung oder nur Verschwendung war. Daß ich hier vor Ihnen stehen darf, macht mir Hoffnung. Das Unfertige lockt. Ich bin gespannt auf das, was noch kommt.
Meine Herren und Damen, ich danke Ihnen für Ihr Votum.