Writer
Born 10/10/1967
Member since 2017
Liebe Damen, liebe Herren,
ich bin in Deutschlands größter Stadt am Meer geboren, lebe dort und werde dort auch bleiben. Wer das Meer, diesen Sehnsuchtsraum für den unverstellten Blick, zu schätzen weiß, der ist in Kiel gut aufgehoben. Im Sommer ist es phantastisch, im überlangen, bleiernen Winter kriegt man die Krise; eingraben und arbeiten, für einen Schreibenden keine schlechte Devise.
Verschrieben habe ich mich unterschiedlichen Gangarten der Poesie. Ich kreise ums große Ganze, das diese Welt schon immer scheitern ließ – ebenso wie ums Unscheinbare, das sie immer schon zusammenhielt. Ich gehe in mir spazieren – und manchmal hebe ich ab. Damit ich für Höhenflüge und Abstürze genug Kraft habe, lebe ich ein kleinbürgerliches Leben, das ich genau so möchte und zu dem ich stehe. Allerdings muss ich das Konventionelle nicht auch noch in der Kunst haben: Hier gilt es mir, Abenteurer zu sein, das Porzellan durch die Luft fliegen zu lassen, hier bin ich ein Spielender, dessen poetische Vision es ist, dass alles möglich bleibt.
Seit meiner Jugend ist mir die bildende Kunst dabei Kraftquelle. Schafft nicht Paul Klee mit seinen poetischen Bildtiteln die herausforderndsten Brücken zwischen Text und Bild? Ist nicht Kurt Schwitters – er schrieb Laut- und Zahlengedichte / reimte Schlagertexte / schuf den Merzbau / malte mittelmäßige Landschaften und Portraits – ein wahnsinnig entgrenzter Geist? Es ist diese Anti-Programmatik im WAS und im WIE, die mir seit jeher Mut macht und mich zu meinem Programm inspiriert: nämlich keines zu haben. So schreibe ich Gedichte mit Blick in meinen Abgrund. Ich schreibe Gedichte, die visuell funktionieren und mit einem Bein im Kunstraum stehen. Und ich schreibe Gedichte für Kinder. Meine beiden künstlerischen Credos lauten: Mach das Kleine groß – und bring Dinge zusammen, die nicht zusammengehören. Es gibt ohnehin keinen anderen Weg, als Ausschnitte der Wirklichkeit miteinander zu verbinden. Das Prinzip der Collage gilt – immer heißt es: leimen, leimen, leimen. Realitätsbezug und Kunstprodukt sind sich da erstaunlich nah. Ich glaube, es liegt in der Natur eines jeden kreativen Menschen, von Dingen angezogen zu sein, die er nicht versteht. Sich im Vergegenwärtigen dieses Umstands selbst als Schöpfer zu begegnen ist mit nichts anderem vergleichbar.
Um in den Zustand der Entgrenzung zu kommen, bin ich ein Nachtarbeiter geworden. Nach getrotteten Tagen leicht überreizt, stimuliere ich mich bei absoluter Stille mit etwas Alkohol – es geht beim Entstehen von Poesie nicht zuletzt auch um Kontrollverlust, das Ausschalten der Ratio. Denn das Unbewusste hat einen entscheidenden Vorteil: Es irrt sich nie.
Was meine Kindergedichte angeht, so bin ich oft dafür belächelt worden. Doch warum soll ausgerechnet ein Gedicht für Kinder weniger wert sein als ein Gedicht für Erwachsene? Vielleicht sind jüngere Menschen für das Umstürzlerische poetischer Ideen viel empfänglicher als die oftmals innerlich schon erstarrten Erwachsenen. Vielleicht, so sinniert der Pop-Art-Künstler Jeff Koons, ist kindhaftes Staunen eine höhere Form des Verstehens, als versteckte zerebrale Rätsel lösen zu wollen, die sich ein Künstler ausgedacht hat, um Sozialkritik zu üben.
Wie auch immer: Mögen Gedichte ihren irrlichternden Kern in sich tragen – und sich weiter aus der staubigen Ecke wagen. Wir müssen sie wieder vermehrt als das wahrnehmen, was sie sind: charmante, auch leicht wahnsinnige Verführungen zum Nachdenken. Ein Blitzschlag mit offenem Ende, widerspenstig, wehrhaft und schön. Die Zukunft wird wendiges Denken schließlich nötig haben; Poesie kann dazu beitragen – als eine potentielle Ideenerweiterungsmaschine, als eine subversive, überholte Strukturen zersetzende – oder verlorene Strukturen regenerierende – Kraft wird sie gerade in heutigen Zeiten der Trockenlegung metaphysischer Bedürfnisse gebraucht.
PS: Mein Sohn erzählte neulich, dass er seine Mitmenschen in zwei Lager teile: in Jünglinge und Ältlinge. Und wie siehst du uns beide in deinem System? fragte ich. Mich, seinen Vater, sehe er als einen Jüngling – sich, mit seinen fünfzehn Jahren, als einen Ältling. Und genau so ist es gut, dachte ich da.
Mit der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung nun ein Forum zu haben, das ich bereichern kann und das mich und meine Arbeit bereichert, erfüllt mich mit Wohlbehagen. Danke.