Gabriele Wohmann

Writer
Born 21/5/1932
Deceased 22/6/2015
Member since 1980

Und wer hat sonst noch alles nicht angerufen?
Die Wohningers saßen beim Lunch, und Herrn Wohninger war die von Anfang an störrische Stimmung seiner Frau nicht entgangen.
Es hatte, ausgenommen die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, keiner angerufen.
Das Ehepaar kam ein paar Bissen weiter. Herr Wohninger, bemüht um einen beiläufigen Tonfall, schlug vor:
Wie wär’s, wenn du es einfach machen würdest wie Ludwig Harig. Und wie hat der’s gemacht, fragte Frau Wohninger, aber erst nach einer Pause, die für den Nachweis ihres Gleichmuts stehen sollte. Herr Wohninger erinnerte sich jetzt eigentlich nur mehr daran, daß der Kollege keine Affäre draus gemacht hatte.
Stell dich den Leuten vor und fertig. Es handelt sich um ein Ritual, nichts weiter. Kurz und bündig, mach’s so. Bring’s hinter dich und geh dann zur Tagesordnung über. Es ist keine Gemütsbewegung wert. Gewiß, das war es nicht, und daß die Ratschläge ihres Mannes vernünftig waren, erkannte Frau Wohninger längst überdeutlich. Es gab da aber noch eine andere Vernünftigkeit, und zwar ihre ganz persönliche Vernünftigkeit, und die verlor sie nicht aus den Augen. Die gebot den Widerspruch. Es ekelte Frau Wohninger vor braven Anpassungen. Ganz so, als verrate sie ihr Naturell, immer bei Fügsamkeiten. Ich war schon als Schulkind auf Rebellion eingestellt, dachte sie, aber weil sie häusliche Harmonie fast über alles schätzte, auch nach dem üblichen Schreibvormittag der Ruhe bedurfte, schwieg sie jetzt.

Die Zeit schritt voran und die Vorstellung der neugewählten Akademie-Mitglieder rückte näher.

Hast du inzwischen deinen Text geschrieben, erkundigte sich Herr Wohninger.
Sie hörten gerade damit auf, die Post der Kategorie demnächst erledigen durchzugehen.
Sowieso bin ich immer zu nett, sagte Frau Wohninger. Ich möchte es lieber thomasbernhardartig machen, insgesamt, und das müßte irgendwas Verweigerndes sein. Was Radikales, und so weiter.
Du hast deiner Zuwahl zugestimmt, sagte Herr Wohninger, womit er nicht von den Tatsachen abwich. Frau Wohninger gönnte sich ein garstiges Auflachen. Schwere Fehler, immer diese Zustimmereien, rief sie. Du bist doch seit Jahren in der Berliner Akademie, im PEN-Club, im Schriftstellerverband...
Sinnlos genug, unterbrach Frau Wohninger ihren allmählich von ihr selber stark bemitleideten Mann. Vor allem ihm zuliebe sollte sie das Thema endlich wechseln und wirklich einfach schreiben: »Ich wurde 1932 in Darmstadt geboren, ich stamme aus einem Pfarrhaus, das untypisch war –«, schon aber begann wieder die innere Aufsässigkeit in ihr. »Das Pfarrhaus, bloß so alt wie ich, jedoch stabiler, wurde abgerissen, und der große schöne wuchernde Garten zugebaut ... was hält mich denn hier fest?« Und hatte sie nicht außerdem, nach dem Geschmack mancher Leute und hinterherhechelnder Kritiker, bereits allzu oft ihr autobiographisches Material fiktionalisiert? Auch zum ganz speziellen Klima ihrer Herkunft, ihrer idealen Eltern und Geschwister, konnte man seit mehr als 20 Jahren, sofern man ein Leser war, fast zum Experten herangereift sein.

Frau Wohninger dankte der Anonymität des Tippgeräuschs. Ihr Mann konnte nicht wissen, daß sie zwischen zwei dienstlichen Briefen nun ein paar Zeilen für die leidige öffentliche Präsentation in die Maschine hackte. Sie schrieb: »Ich möchte mein Publikum nicht unterschätzen und zähle deshalb nicht auf, was sowieso in allen Nachschlagewerken steht, beziehungsweise was ja der Grund für meine Zuwahl gewesen sein sollte, alles in allem also verschone ich uns vor dieser Absurdität, vor Auskünften wie...«
Dumme Sackgasse. Anders anfangen: »Ausgerechnet in Darmstadt kommt es mir überflüssig vor zu sagen, wer ich bin... Am Ort meiner nicht weiter phantasievollen Seßhaftigkeit«. Frau Wohninger verlor die Lust.
Wie gut Herr Wohninger zu wissen schien, womit sie sich beschäftigte! Denn nun riet er ihr:
Bleib sachlich, zähl’ einfach auf: seit 1957 Veröffentlichungen von Romanen, Erzählungen, Fernsehspielen, Hörspielen, Kritiken, Gedichten, und vergiß nicht das Theaterstück.
Hans Dampf in allen literarischen Gassen. Ein paar Produktionskrisen hätten sich besser gemacht.
Du, ich seh’ nicht kommen, daß ich das Ganze mitmache, sagte Frau Wohninger, und sie riskierte das, obwohl es mittlerweile Abend wurde. Es war ihr so ernst. Sie sah es nämlich kommen, daß sie das Ganze mitmachte. Sie sah sich jetzt auf dem Podium, und eben wurde sie fertig damit, ihren kleinen Text vorzulesen.