Alfred Brendel

Writer and Pianist
Born 5/1/1931
Member since 2009

Da ich Ihnen etwas über mich erzählen soll, fange ich bei meiner Familie an. Bis heute habe ich unter meinen Vorfahren keinen Intellektuellen oder musischen Menschen entdeckt. Hingegen stieß ich auf Generationen von Seifen-siedern. Jüdische Brendels, die mir aus Galizien oder Israel schrieben, kann ich leider auch nicht als Familienangehörige reklamieren. Eine Großmutter hieß Aloisia Guerra und kam aus dem Friaul. Ein Großvater betrieb in Wien eine Radfahrschule, in der Gustav und Alma Mahler radfahren lernten. Es gab damals noch ein großes Rad vorne und ein kleineres hinten. In Zagreb stand ich als Kind auf der Bühne und sang altösterreichische Couplets mit unterlegtem kroatischem Text, den ich nicht verstand. Mein Vater leitete ein Kino. Ferdinand Marian spielte Jud Süß. Meine Klavierlehrerin spielte das Schumann-Konzert und irrte sich im letzten Satz. Als ich vierzehn war, endete der Krieg. In den Kellern verborgene Literatur kam wieder zum Vorschein, die Künste standen wieder offen. Alles war für mich zu entdecken – eine Beschäftigung, die immer noch anhält. Ich bin dankbar dafür, dass einerseits die Erfahrung von Krieg und Nachkrieg, von Fanatismus und Skepsis, andererseits die Behaftung mit liebenden, aber ahnungslosen Eltern mir die Chance gegeben haben, meinen eigenen Weg zu finden. Dass er mich heute hierhergeführt hat, ist ein besonderes Vergnügen.

Ich danke der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, dass sie mich so freundlich eingebürgert hat, obwohl ich, dem Augenschein nach, doch ein Musiker bin, den die Sprachlust treibt, auch noch zu schreiben. Ein Zweitberuf, um dieses hässliche Wort zu verwenden, wird ja höchstens, wie Schwarzarbeit, um des Nebenverdienstes toleriert. Ähnlich betrachten Musikologen Musiker, die über Musik schreiben, als unseriös. (Manchmal haben sie recht.)

Ich versuche mir vorzustellen, wie es einem Musiker zumute wäre, wenn ein Dichter, Romancier oder Germanist das Podium mit dem Anspruch beträte, Chopins Terzenetüde zu spielen. Eine leichte Irritation ließe sich nicht zurückdrängen, besonders da ich selbst die Terzenetüde nie bewältigt habe. Natürlich hinkt der Vergleich. Das Musizieren hat ja auch, im Gegensatz zum Schreiben, eine ausgeprägt physische Seite. Die körperliche Anstrengung beim Klavierspiel entspricht bei manchen Pianisten geradezu jener des Holzhackens. Jedenfalls ehrt es mich, dass Sie mein von mir angemaßtes literarisches Zweitleben mit Fassung hinnehmen.

Ich habe also die längste Zeit über Dinge meines Metiers geschrieben: über Komponisten, Stücke und Interpreten, über Konzertprogramme und musikalische Nachschlagewerke, Live- und Studioaufnahmen, aber auch über motivische Verwandtschaften, über Struktur und Charakter in der Musik oder ihre komischen Möglichkeiten. Das Komische, so möchte ich konstatieren, ist heute eine bedrohte Spezies. Mit dem Ernst, den verantwortungsvolle Menschen an den Tag legen, kommt ein unreifer Geist wie ich nicht immer zu Rande.

Dann kam der Tag, an dem mein Sprachdrang auf unerwartete Weise aktiv wurde und mir Gedichte einflößte, Gedichte, die obendrein jedes Versmaß vermeiden. Das war nun nicht mehr eine auf sinnvolle Erklärungen ausgerichtete Prosa, sondern eine Liebesbeziehung von Sinn und Unsinn. Wenn ich mich nicht irre, hat Kant die Musik eher dem Unsinn zugeschlagen. So kommt bei mir, wie man in Österreich sagt, Spinat aufs Dach.

Bei einem Treffen des Pour-le-mérite-Ordens stellte sich ein russischer Mathematiker als neu ernanntes Ordensmitglied vor. Er habe sich, so erklärte er den Anwesenden, darüber Gedanken gemacht, was die Funktion dieses Gremiums eigentlich sei. Dabei sei er auf ein Gedicht von mir gestoßen, das er nun vortragen wolle. Das Gedicht geht so:

Wir sind der Hahn und die Henne
Wir sind auch die kleinen Hühnerlein
Und das Ei
Wer ist das Ei
WIR SIND DAS EI
Das Dotter aber auch das Eiweiß
Außerdem sind wir der Fuchs
Der die Hühner frißt
Wir sind aber auch wirklich alle

Ich bin natürlich weit davon entfernt, der Akademie etwas ähnlich Universelles in die Schuhe zu schieben. Nach allem, was ich weiß, lässt man hier die Hühner leben und verzehrt die Sprach-Eier.

Ich wünsche der Tagung einen wunderbaren Abschluss.