Friedhelm Kemp

Writer and Translator
Born 11/12/1914
Deceased 3/3/2011
Member since 1980

Johann-Heinrich-Voß-Preis

Ihre Akademie, als deren neues Mitglied ich heute abend vor Ihnen stehe, hat mir bereits 1963 ihren Übersetzerpreis verliehen. Und wenn ich mich Ihnen gegenüber als Schreibender charakterisieren soll, so muß es auch heute dabei bleiben: daß ich mich als Übersetzer verstehe, im weitesten Sinne; als Dolmetsch, als Vermittler, nicht nur durch meine veröffentlichten Übersetzungen, sondern darüber hinaus auch durch Anthologien, Werkausgaben, Aufsätze, durch eine langjährige Lektorentätigkeit beim Kösel-Verlag in München wie zuletzt als Leiter der Literarischen Abteilung des Bayerischen Rundfunks.

Gestatten Sie mir jedoch, bei dieser Gelegenheit ein paar nähere Angaben und einige kurzgefaßte Anmerkungen zu meinem Tun und Treiben als Übersetzer aus dem Französischen. Das hat begonnen vor nunmehr rund fünfzig Jahren, mit Gedichten aus Baudelaires Fleurs du Mal; was im weiteren dazu führte, daß ich 1938 auch mit einer Arbeit über Baudelaire promovierte. Als erste literarische Veröffentlichung erschien dann 1946 bei Heinrich F. S. Bachmair in Starnberg eine Auswahl von Zehnzeilern aus der Délie des Lyoneser Renaissancedichters Maurice Scève. Dieser folgten Werke von Jean Cocteau, Charles Péguy, Simone Weil, Pierre Jean Jouve, Marcel Jouhandeau, Jean Paulhan, Saint-John Perse und anderen; bis zu dem soeben bei Suhrkamp erschienenen kleinen Bande Rue Traversière, mit Prosastücken von Yves Bonnefoy. Übersetzungen in Prosa und in Versen; Romane, Erzählungen, Essays und Gedichte; von denen nur anfangs einige wenige zum Brotverdienst unternommen wurden, die meisten jedoch, weil es mich reizte, gerade diesen Autor zu übersetzen und dadurch bei uns bekannt zu machen.

Ich bin, bis heute, die jugendliche Überzeugung nicht losgeworden, daß die Dichtung, daß das Gedicht die Mitte und immer wieder der Gipfel aller Literatur sei, und daß diese, als Literatur, Relevanz und eine Art Übergültigkeit vor aller anderen Rede nur besitze, insofern sie an Dichtung teilhat. Diese Überzeugung – dieser Aberglaube, wenn Sie so wollen, dieses Vorurteil – war der Grund, warum ich nur solche Werke übersetzen wollte, in denen es um Dichtung ging oder ein dichterisches Moment doch entscheidend mitsprach. Wodurch allerdings die an den Übersetzer gestellte Forderung nach Treue oder Redlichkeit dem Original gegenüber sich zu der Frage verschärfte: Wie denn eben dieses Dichterische der Vorlage nicht herüberzuholen, sondern in dem Medium der eigenen Sprache abzuspiegeln, ja recht eigentlich neu hervorzubringen sei.

Bei älteren Texten, Prosa wie Gedichten früherer Jahrhunderte, lief das unter Umständen auf eine Art Mimikry hinaus. Es gab da im Bereich der eigenen Literatur Muster, Vorrichtungen, Gerätschaften sozusagen, deren Anwendung, war man dort nur bewandert und ein einfühlsamer Leser, sich erlernen ließ. Schwieriger schon war es, hierbei dem Umstand Rechnung zu tragen, daß, wenn man aus einer Zeit in eine andre übersetzt, das Bemühen um Distanz nicht der Frische abträglich sein durfte; und daß jede künstliche Patina ein Greuel ist.

Anders liegen die Dinge, scheint mir, bei Übersetzungen neuerer und zeitgenössischer Autoren, die ja eben deshalb bekannt gemacht werden sollen, weil sie neu, andersartig, unerhört sind. Liest man aber die Mehrzahl der Übersetzungen solcher Autoren, die eigenen nicht ausgenommen, so bemerkt man doch einen Übelstand: vieles an diesen Übersetzungen ist gewissermaßen sprachlos; der Vermittler verfügt oft nur über eine abgezogene, abgelebte, um nicht zu sagen tote Sprache; ein gehobenes mittleres Idiom, dessen literarische Vorbilder mindestens fünfzig Jahre zurückliegen. Dem abzuhelfen gibt es freilich ebenfalls Praktiken: vor allem die der Verfremdung und Intensivierung durch manieristische Überzeichnung; ein Verfahren, wie es Rudolf Borchardt, Rilke und Franz Rosenzweig mit Erfolg angewendet haben. Darf aber solches jeder sich ungestraft herausnehmen? Zumal dort, wo eine derartige Aufrauhung und Überhöhung die Sanftheit oder Lieblichkeit des Originals zur angestrengten Fratze verzerren würde?

Da bleibt, scheint mir, nur eines: übersetzend sich nicht dem groben oder raffinierten trompe-l’œil zu verschreiben, sondern eher auf eine Perspektivik hinzuarbeiten, welche uns die Aussicht nicht verstellt, sondern, als wäre die Nachgestalt nur Rahmen, Lattenwerk, Raster, uns eine Ahnung dessen vermittelt, was in dem Original sich ereignet hat. Wir, als Leser, glaubten dann nicht, das Fremde zu kennen und zu besitzen, aber erblickten es doch als überraschende Formation an unserem Horizont ...