Uwe Pörksen

Linguist
Born 13/3/1935
Member since 1989

Ich bin Weißer Jahrgang, 1935 geboren und an der schleswig-holsteinischen Westküste aufgewachsen, zwischen Bahndamm und Festwiese in einem lutherischen Pastorenhaus. Mir wurde bei Tisch die Sprache Luthers und Klopstocks ins Ohr gepflanzt; ich sage das mit Dankbarkeit. Auf den Kohlewagen stand bis kurz vor Kriegsende in schräger weißer Schrift: ›Räder müssen rollen für den Sieg.‹
1945 war schulfrei, ein glorioser Sommer. Es gibt kein Jahr, an das ich so genaue, nachhaltige Erinnerungen habe; es war ein Ausgreifen nach allen Seiten.
Ich habe Ähnliches noch zweimal erlebt: 1961 in Berlin, als ich versuchte, mich zum Schriftsteller auszubilden, was mißlang, ich vereinsamte völlig, aber ich kroch in allen Winkeln und Sektoren herum, um mich der Wirklichkeit wieder zu versichern. Ich hatte sechs Jahre Geschichte studiert, Philosophie, Literatur. Jetzt, als der 13. August die lebende Stadt zerschnitt, begann ich zu begreifen.
Ich verfaßte eine Elegie in 26 Strophen, die gewiß nicht zum Vorrat der deutschen Poesie gehört, Thomas Grays »Elegy written on a country churchyard« nachgebildet, begann einen Roman, der, wenn man so will, einen Fall von Sprachnarzißmus, von Durchstoßung der Sprachglocke behandelt. Als er erschien, war ich 44 Jahre alt.
Damals schrieb mir Peter Wapnewski, ob ich interessiert sein könnte, an dem neu zu gründenden Berliner Wissenschaftskolleg ein Jahr zuzubringen. »Sie haben keine andere Aufgabe, als die Sie sich selbst stellen«. Es wurde ein Jahr, das die Zunge lockerte, neuer Lebensfreundschaften, ein Springen über alle Zäune. Immer noch hoffe ich, ob mich nicht von irgendwoher noch einmal ein solcher Brief erreicht.
Ich weiß nicht, warum mir bei der Vorstellung vor der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung meine drei schulfreien Jahre einfallen. Ich bin Universitätsprofessor in Freiburg; das ist ein arbeitsreicher und vermutlich zugleich einer der freiesten Berufe, die unser Land zu vergeben hat. Er erlaubt mir, Sachen zu lesen, in die ich mich ohnehin gern vertiefe: deutsche Dichtungen des Mittelalters, naturwissenschaftliche Sachprosa, Sprachkritik.
Auf einigen Gebieten arbeite ich mit meiner Frau zusammen. Weimar* war uns eine vertraute Stadt, als ich 1973 zum ersten Mal den Antrag stellte, hier einreisen zu dürfen, um im Nachlaß des »ollen mauligen Riemer mit der furchtbaren Klaue« zu arbeiten, wie Frau Clauss ihn nannte, die Bibliothekarin, die uns beim Entziffern half. Die Hinterlassenschaft des Sekretärs von Goethe, 23 Kisten, hat es uns ermöglicht, immer wieder herzukommen und hätte noch ein paar Jahrzehnte vorgehalten. Ein gemeinsamer Aufsatz über »Riemers Notizen zur Sprache« sprang heraus, eine siebzig Seiten lange Erzählung unter dem Titel Grüßen Sie mir Weimar, unbekannterweise. Ihr Motto war ein Wort von Valéry: »Mit der Uhr in der Hand kannst du darauf warten, daß der Engel sich in einen Teufel verwandelt«. – Ich habe sie nicht veröffentlicht, unter anderm, weil zu befürchten war, daß wir danach die Freunde in Weimar, Eberhard Haufe, Sofia und Wulf Kirsten nicht mehr würden besuchen können. Daß die Grenze gefallen ist: ich reibe mir immer noch die Augen.
Ich habe eine Veranlagung zum Chronisten, zum konsequenten Mitschreiben, kann es nicht lassen, Spuren der alltäglichen Erfahrung sprachlich zu klären, für sie eine persönliche Version zu finden; und eine Geschichte.
Der Roman Weißer Jahrgang ist ein Universitätsroman der fünfziger Jahre bis zum Mauerbau.
Vier Erzählungen mit dem Titel Die Ermordung Kotzebues oder Kinder der Zeit spiegeln die Aufbrüche in den sechziger Jahren und ihr Nachbeben.
Als wir nach Freiburg zogen, hatte ich die Absicht, einmal einen bürgerlichen Roman zu schreiben; es ist ein politischer Stadtroman daraus geworden, Schauinsland, vor drei Monaten erschienen. »Je älter ich werde, je mehr scheine ich politisch auszuarten«, schrieb der Königsberger Theodor Gottlieb von Hippel, der Verfasser der Lebensläufe nach aufsteigender Linie.
Ich habe mehrfachen Anlaß, Ihnen für die Aufnahme in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung zu danken.