Carl Amery

Writer
Born 9/4/1922
Deceased 24/5/2005
Member from 1992 to 1999

Ich gehöre dem Jahrgang 1922 an; dem Jahrgang also, dessen Aufstiegschancen nach 1945 glänzend waren, weil der Krieg soviel gleichaltrige Konkurrenz liquidiert hatte. (So hat man mir das jedenfalls einmal soziologisch erklärt ...)

Ich wurde in München geboren und wuchs in Freising und Passau auf. Beide Elternteile waren promovierte Altphilologen, mein Vater wurde Hochschulprofessor für Geschichte. Er und meine Mutter gehörten der süddeutsch-katholischen Bildungsschicht an, die mir meine ersten kulturellen Eindrücke und meine unverrückbare, höchstens nach links ausbaubare Feindschaft zum Nationalsozialismus vermittelte.

Ich studierte von 1940 auf 41 und dann wieder ab 1946 bis 1950. Meine Fächer waren Romanistik und Anglistik, später ergänzt durch Amerikanistik (Folge eines Zwangsaufenthalts in den USA 1943/46). Am meisten verdanke ich den Lehrern Hans Rheinfelder und Wolfgang Clemen in München und Helmut Hatzfeld in Washington, D. C.

Zu schreiben begann ich in der Pubertät, ich produzierte damals die üblichen Normal-Ergüsse dieses Alters, zusätzlich verwässert durch die provinzielle Ästhetik der Hitlerzeit. Mein Elternhaus vermittelte mir allerdings wichtige Perspektiven, vor allem ein originäres Verhältnis zur Geschichte. Ich habe etwa in den Perspektiven von Braudel, Ladurie u.a. Dinge vorgefunden, die ich ansatzweise von der Arbeit meines Vaters kannte – so etwas wie eine rudimentäre histoire des mentalités.

Meine erste »ordentliche« Story schrieb ich im Winter 1945/46 in Arkansas, wo ich als kriegsgefangener Baumwollpflücker, später Dolmetscher tätig war. Sie wurde in einem der interessanten jugendlichen Blätter jener Zeit veröffentlicht, machte einen Lektor der Nymphenburger Verlagshandlung auf mich aufmerksam und führte so zum ersten Romanvertrag. (Die Veröffentlichung erfolgte 1953 und war mittelbar für meinen Zugang zur Gruppe 47 verantwortlich.) Seit 1950 verheiratet, mußte ich mich allerdings auf die Lebensweise eines ›freien‹, d.h. zu ständiger Produktion gezwungenen Schriftstellers einrichten, was hauptsächlich durch Mitarbeit beim Rundfunk gelang.

Meinen Prosastil hätte ich nicht ohne die langjährige Bekanntschaft mit angelsächsischer und französischer Literatur entwickeln können – und (damit im Zusammenhang) nicht ohne die mit den Jahren wachsende Überzeugung, daß der komische Weltzugang leichter und eher die Tragödie enthält und aus sich entläßt als umgekehrt. Wie erwähnt, habe ich dabei immer angenommen, daß ich von westlichen Vorbildern und Kategorien ausging und ausgehe; doch hat mich vor einem Jahr, bei einer Lesung in Prag, die Frage eines Tschechen nachdenklich gemacht, ob ich nicht eine starke Affinität zum tschechisch-mährischen literarischen Humor verspüre. Da könnte, wie man sagt, was dran sein – zumindest in den letzten Jahren.

Größere Resonanz als meine Belletristik lösten meine Aufsätze und Monographien zu zentralen kulturellen und gesellschaftlichen Fragen aus – so 1963 meine kurze Analyse des (west)deutschen Milieukatholizismus und, etwa ab 1970, meine Aufsätze und Monographien zur heraufsteigenden und jetzt allgegenwärtigen ökologischen Krise, die ich als Kulturkrise begreife. Da sie die bisher ernsteste Krise der Menschheit ist, und da sie die bisherigen Stereotypen von Rechts und Links, Konservativ/Reaktionär und Progressiv/Revolutionär, gründlich außer Kraft setzt, waren die letzten Jahrzehnte für mich einerseits ein ständiges Starren ins Antlitz der Medusa, andererseits aber ein faszinierendes Wander-Abenteuer in wahrhaft neuem Gelände mit vielen neuen Freunden aus anderen Lebensgebieten – insbesondere Renegaten aus dem Bereich der Natur- und Lebenswissenschaften. Sprache und Dichtung, so will mir scheinen, haben bereits jetzt mehr Impulse diesen möglichen (und vielleicht demnächst wirklichen) Brückenschlägen zu verdanken als dem traditionell exklusiven Verhältnis zu den sogenannten Geisteswissenschaften, die in ebendiesen Jahrzehnten den neuen Paradigmen merkwürdig verschlossen blieben. (Leider läßt sich der übliche Kulturbetrieb, wenn man einen oder mehrere Blicke in die gängigen Feuilletons, Zeitschriften und Bildschirm-Programme wirft, auf dergleichen noch lange nicht oder doch nur flüchtig ein.) Das Material-Buch zu diesem Abenteuer finden Sie unter dem Titel Bileams Esel beim List-Verlag (1991). Es enthält Reden, Stellungnahmen und Aufsätze aus den letzten fünfzehn bis siebzehn Jahren.

Im übrigen danke ich der Akademie für die Zuwahl und insbesondere meinen Paten, die sie ermöglicht haben.