Tuvia Rübner

Poet, Literary scholar and Translator
Born 30/1/1924
Deceased 29/7/2019
Member since 1987

Ich komme aus Bratislava, das auch Poszony hieß, und das wir Preßburg nannten. Zuhause sprach man Deutsch, und ich besuchte deutsche Schulen, solange ich Schulen besuchte: fünf Volksschulklassen und drei Gymnasialklassen. Die vierte – das deutsche Staatsrealgymnasium konnte von Juden nicht mehr besucht werden – absolvierte ich etwas mühevoll in einer slowakischen Mittelschule. Dann war es aus.
Als ich 1947 den Lehrer Wurm besuchte, meinen Volksschullehrer, ich hatte ihn lieb, zog er aus der Schublade das Klassenbild hervor, wies auf ein Gesicht und sagte: das war ein schlimmer Nazi, und der war auch unmenschlich grausam, dieser ist im Krieg umgekommen, und dieser lebt auch nicht mehr.
Der Lehrer Wurm hatte sich, als die Nazis die Slowakei beherrschten, als Ungar deklariert, um vom deutschen Schuldienst suspendiert zu werden.
1941 kam ich, der einzige meiner Familie, in das Land Israel. In Constanta am Schwarzen Meer gab es lange Züge mit deutschem Militär. Die Soldaten riefen uns zu: Auf Wiedersehen in Palästina! Rommel stand damals in Ägypten. Das war das letzte öffentliche Deutsch, das ich für Jahre hören sollte.
Im Kibbuz Merchavia, wohin ich geschickt wurde, lernte ich mein erstes Hebräisch. Unsere Jugendgruppe versuchte halbtags in der unerträglichen Hitze zu lernen, Bibel und anderes, halbtags verrichteten wir verschiedene landwirtschaftliche Arbeiten. Als Schafhirt hatte ich eine schöne Zeit.
Später begann ich an der örtlichen Mittelschule Literatur zu unterrichten, dann an einem Lehrerseminar, schließlich an der Universität. Jahrelang war ich überzeugt, anhand von Literatur – ich meine Sprachgeformtem – brächte ich Menschen dazu, ehrlicher zu denken, besser zu fühlen, sich weniger zu belügen und betrügen zu lassen.
In guten Augenblicken bin ich auch heute noch überzeugt, daß dies möglich sei.
Schon als Kind machte ich Gelegenheitsreime. Auch schrieb ich Gedichte ab, die mir besonders gut gefielen und bebilderte sie, entweder mit eigenen Zeichnungen, oder mit Bildern, die ich aus Prospekten von Reisebüros und Kunstzeitschriften ausschnitt. »Der Postillon« von Lenau aus dem Schullesebuch bewegte mich tief.
Weshalb bebilderte ich? Entsprang daraus meine spätere Lust am Fotografieren? (Zeichnen konnte ich eigentlich leider nie). Ich wurde Amateurfotograf, stellte in Israel, in Frankreich, in der Schweiz, in Italien aus.
Genügte mir die Sprache nicht? Weshalb muß auch heute ich mir immer wieder sagen, Gedichte seien vom Anständigsten, das es noch gibt, und Sprache sei die beste aller menschlichen Welten, wenn auch noch nicht die gute?
Ich bin Ihnen dankbar, mich als korrespondierendes Mitglied in Ihre Akademie gewählt zu haben und mir dadurch die Gelegenheit geben, an den Sitzungen zu hören, wieviel Gutes Sprache und Dichtung bewirken können, oder könnten.
Zwölf Jahre, nachdem ich in das alte, in das neue Land kam, schrieb ich deutsche Gedichte. Die meisten machte ich im Kopf, mit den Schafen auf der Weide, sagte sie mir vor, und schrieb sie erst auf, als ich wieder im Zimmer war. Ich zeigte sie meinen Freunden, die ich vor allem dank den Gedichten gewann, Ludwig Strauss und Werner Kraft; sie fanden teilweise Gefallen an ihnen, übten teilweise Kritik. Davon lernte ich. Ich schrieb in einer Sprache, die ich kaum mehr sprach. Sie war mein Zuhause. In ihr sprach ich weiterfort mit meinen Eltern, mit meiner Schwester, mit den Großeltern, Verwandten, Freunden der Jugend, die alle kein Grab besitzen.
Dann wollte ich nicht mehr selbst in meinem, wie ich meinte, »eigentlichen« Leben, in den Gedichten, in der Vergangenheit sein, auch wenn sie unvergangen war. Nicht um sie zu bewältigen – das ist sowohl unmöglich als unerlaubt –, sondern um mit ihr: zu leben. Ich begann hebräisch zu schreiben, ausschließlich, veröffentlichte eine Reihe von Gedichtbänden, Aufsätzen, Analysen, eine Monographie. Das ist leicht hingesagt. Hebräisch ist nicht selbstverständlich für mich. Es ist eine erlernte Sprache, aber auch eine gesprochene. Die persönliche Erfahrung, daß Sprache nicht mehr von sich aus gegeben ist, findet Stärkung in dem, was Julien Green meint, wenn er sagt: »Die Worte bilden eine Art Strömung, gegen die man unaufhörlich anschwimmen muß; wer ihrem Sog folgt, muß geradenwegs scheitern, denn es wird unmöglich, nach langem Mißbrauch der Worte sie die Wahrheit ausdrücken zu lassen«. (Zitiert nach: Werner Kraft, Julien Green, Dichter der Schwermut.)
Ist das der Grund dafür, daß ich wegen des Deutschen keine Bedenken habe? Noch immer klingt mir anders im Ohr als jeder hebräische Vers: Du bist mein, ich bin dein; Der du von dem Himmel bist; Liebes Kindlein, ach ich bitt, bet fürs bucklicht Männlein mit; Mit gelben Birnen hänget; Am Abend tönen die herbstlichen Wälder.
Hinzufügen muß ich folgendes: Sprache spricht immer nur ein Einzelner, der an der Sprache, die er spricht, zu erkennen ist. Die Vielen reden, quatschen, plaudern, brüllen, unterhalten und zerreden sich, grölen, johlen, bellen, – sprechen nicht. Wer je einen Nazi oder Halbnazi gehört hat oder hört, weiß was ich meine, wobei natürlich nicht alle Vielen Nazis sind, jeder Nazi aber einer von vielen ist.
Ich habe aus dem Deutschen ins Hebräische übersetzt, aus dem Hebräischen ins Deutsche. Ich unterhalte mich an der Universität mit meinen Studenten über den Doppelgänger von Tieck bis Kafka, oder über den Teufel und seinen Kumpanen bei Marlowe, Goethe und Thomas Mann (und weiß immer noch nicht, warum Gretchen ihren Faust Heinrich nennt), über das Unbestimmte bei Büchner und Kleist. Schließt sich ein Kreis? Nein, er schließt sich nicht.