Geno Hartlaub

Writer
Born 7/6/1915
Deceased 25/3/2007
Member since 1970

Plato hat in seinem »Staat« den Dichtern, wohl ihrer Lügenhaftigkeit wegen, die Rolle der Propagandisten zugedacht. Karl Jaspers hat mir einmal bei einem Besuch im Krieg gesagt, vom Standpunkt des Moralisten aus seien alle Dichter Verführer oder gar Lügner; wenn man redlich sein wolle, müsse man mit Gleichnissen und Metaphern, mit Lyrismen und poetischen Symbolen in der Prosa äußerst sparsam umgehen. Als ich vor einem halben Jahr von meiner Wahl in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt erfuhr, mußte ich an diese Worte denken. Sie haben eine eigentümliche Entsprechung im Hang der heutigen Jugend nach dem reinen Dokument und dem jeder Fiktion feindlichen Sprachexperiment, nur daß diese poesiefremde Jugend den Unterschied zwischen Wahrheit und Wirklichkeit, zwischen Dasein und Existenz im Jaspersschen Sinne wohl kaum mehr anerkennen würde.

Sprache und Dichtung sind Begriffe, die mir jedenfalls viel, ja alles bedeuten. Deshalb empfinde ich es als eine Ehre, dieser Akademie anzugehören. Über meine Arbeiten – Romane, Erzählungen, poetische Essays – kann ich nur sagen, daß die freie Erfindung in ihnen dominiert. Wirkliche Erlebnisse und Erfahrungen, Autobiographisches, reale Quellen spielen wohl bei dem Grundeinfall und bei Einzelbeobachtungen eine wichtige Rolle. Es sind Requisiten, Versatzstücke, Rahmen, Mobiliar der Häuser, in denen die Phantasie wohnt. Ich kann in der Psychologie, besonders in der Binnen- und Mikropsychologie des »Inneren Monologs«, keine bloße Spiegelung und Reproduktion von Wirklichkeit erblicken. Oft gegen den Willen des Autors ist diese Psychologie von Elementen der Phantasie, der Poesie, der labyrinthischen Wirrnis der Seele durchsetzt.

Ich weiß nicht, wie man die spärlichen Erzeugnisse von Schriftstellern meines Jahrgangs, die durch Krieg und Terror dezimiert worden sind, später einmal einordnen wird. Manchmal kommt es mir vor, als säßen Leute meines Alters zwischen sämtlichen Stühlen und Stilrichtungen. Vielleicht könnten sie jenen magischen Realismus fortsetzen, der durch Namen wie Döblin gekennzeichnet ist. Mit dem Jahr 1933 brach diese Entwicklung in der Literatur jäh ab, nach 1945 wurde sie nur zögernd, etwa durch Schriftsteller wie Wolfgang Koeppen, wieder aufgenommen.

Hoffnungslos romantisch nannte neulich ein junger Kollege eine meiner Erzählungen, die ich selbst bitter, hart und traurig finde. Hoffnungslos, sagte er, obgleich oder weil die Hoffnung in ihr noch eine entscheidende Rolle spielt.