Nanna Fuhrhop

Linguist
Born 21/12/1968
Member since 2023

Haben Sie herzlichen Dank, dass ich hier stehen darf.

Mein Werdegang ist recht langweilig – zur Oberschule bin ich in Berlin-Wilmersdorf gegangen, studiert habe ich wesentlich an der FU Berlin. Hier kam es zu meiner schicksalhaften Begegnung mit Peter Eisenberg. Ohne ihn hätte ich einen anderen Beruf ergriffen, ohne ihn würde ich hier nicht stehen. Nach meiner Dissertation am Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft bin ich seine Assistentin in Potsdam geworden, bin dort habilitiert worden und bin im letzten Jahr, nach 15 Jahren Universität Oldenburg, wieder in Potsdam gelandet; quasi als seine späte Nachfolgerin. Von ihm habe ich den grammatischen Blick gelernt und damit auch nach und nach den großen Respekt vor der deutschen Sprache.

Als Person, die immer gerne las, aber sich auch ein Chemiestudium hätte vorstellen können, konnte ich mich nicht entscheiden zwischen den Natur- und Geisteswissenschaften und da kam die Sprachwissenschaft dann gerade recht. Heute sehe ich mich genuin als Grammatikerin mit all ihren Facetten. Die letzten Jahre habe ich mich wesentlich mit dem Schriftsystem beschäftigt – das wird ja gerne auf die Orthographie reduziert. Ja, auch mir liegt die Orthographie am Herzen, dass sie beherrschbar ist und von ihrem Schrecken verliert. Sie hat keinen Schrecken, er wird ihr angehängt. Denn viele vermeintliche Schreibprobleme sind Lesehilfen – die Interpunktion, die Großschreibung, die Stammkonstanzschreibung, die Schreibsilbe, wir sind noch lange nicht am Ende, die Lesehilfen zu beschreiben. Was mich aber am meisten an der Schrift fasziniert? Was alles mit 26 oder meinethalben dreißig Buchstaben produziert werden kann. Jedes neue Buch, jede Zeitung ist eine Neukombination dieser wenigen Einheiten. Und wir können noch nicht mal nur deutsche Texte damit schreiben, sondern auch englische, französische, slowenische. Und die Buchstaben selbst? Beatrice Primus hat sie auseinandergenommen. So bestehen die Kleinbuchstaben p, b, d, q ja jeweils aus den zwei gleichen Teilen. Genau genommen sind es also noch weniger und noch kleinere Bestandteile, die wir kombinieren und damit Bibliotheken füllen. Und perfektioniert wird das noch durch 12 Interpunktionszeichen – und hier geht es nicht primär um Kommaregeln, sondern um die Vielfalt der Möglichkeiten; Ursula Bredel hat es mit Brecht gezeigt Der Mensch denkt _ Gott lenkt. Der Zusammenhang dieser beiden Einheiten ist vielfältig, kann aber mithilfe der Interpunktion gelenkt werden. Wem sag ich das? Sie können mit dem Handwerkszeug alle viel besser umgehen als ich. Aber wir, wir versuchen die Strukturen explizit zu machen.

Mein zweites aktuelles Thema ist die ‚Literarische Grammatik‘; genauer hinzuschauen, welche Konstruktionen gewählt werden und warum. Jeden, der jetzt befürchtet, dass wir so lange Texte auseinandernehmen, bis gefühlt nichts mehr übrigbleibt, kann ich beruhigen: Es ist eher so, dass wir in den Seminaren regelmäßig vor Respekt den Hut ziehen, wenn wir die Kunstfertigkeiten in so manchem Gedicht – auch aktuellem – erkennen.

Also vielleicht steckt doch die Chemikerin in mir: Ich analysiere bis zum Ende und synthetisiere dann wieder mit der immer wieder deutlichen Erkenntnis, dass das Gesamte mehr ist als seine Teile. Verstehen tue ich es nicht, aber bei jeder dieser Erkenntnisse stehe ich demütig vor der Großartigkeit des sprachlichen Systems: Dass es kann, was es kann.