Art historian
Born 30/3/1909
Deceased 3/11/2001
Member since 1988
Die ehrenvolle Nachricht, ich sei zum Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung gewählt worden, hat mich nicht weniger erstaunt als gefreut. Lebe ich doch nun seit mehr als einem halben Jahrhundert in einem anderen Sprachraum und habe wenig Gelegenheit gehabt, meine Muttersprache zu pflegen. Es trifft sich, daß ich die Folgen dieser Verpflanzung vor kurzem in einer Rede zu schildern versucht habe, die ich anläßlich der Verleihung des Ludwig-Wittgenstein-Preises in Wien hielt, und die ich »Spracherlebnisse« nannte. (Abgedruckt in: E. H. Gombrich: Gastspiele. Aufsätze eines Kunsthistorikers zur deutschen Sprache und Germanistik. Wien/Köln: Böhlau 1990, S. 113-131.) Was ich dort zu sagen unterließ war nur, daß mein deutscher Wortschatz im wesentlichen auf dem Stand von 1936 stehengeblieben ist, wie die Fliege im Bernstein, so daß ich mir bei meinen Besuchen im deutschen Sprachgebiet ein wenig wie der Revenant der Legende vorkomme, der seine Heimat kaum wiedererkennt. Mein altmodisches Sprachgefühl sträubt sich noch gegen Ausdrücke wie »verkraften«, »frustriert« oder »da bin ich überfragt«. Übrigens ist eine solche Beharrung auf einer früheren Entwicklungsstufe der Sprache nichts Außergewöhnliches. Man sagt ja, daß das Jiddische manche mittelhochdeutsche Formen aus der Zeit, als die Juden aus Deutschland vertrieben wurden, bewahrt hat.
Soviel zur Sprache. Und wie steht es mit der Dichtung? Da muß ich etwas weiter ausholen. Ich bin gewiß kein deutscher Dichter, der die Mitgliedschaft verdient. Hätte ich einer werden können? Das führt zu philosophisch-psychologischen Überlegungen, die mich manchmal beschäftigen: Leonardo da Vinci hat einmal den Satz geschrieben »Die Natur ist voll von unendlich vielen Ursachen, die nie in Erfahrung getreten sind«. Was für die Natur im Allgemeinen gilt, gilt womöglich noch mehr für die Natur des Menschen. Man redet so viel von der Selbstverwirklichung und von der Aufgabe der Erziehung, alle Anlagen eines Menschen zur Entfaltung zu bringen. Aber das ist ja gar nicht denkbar. So sehr ich von der Vielfalt menschlicher Veranlagungen überzeugt bin, so sehr glaube ich auch, daß wir mehr Anlagen besitzen, als sich in einem Leben verwirklichen lassen. Welche aus dieser Vielfalt in Erscheinung treten, hängt wohl von den Wechselfällen des Schicksals ab. Wer hätte das nicht an sich selbst erlebt? Als Volksschüler war ich ein eifriger Steinsammler. Ein Zufallsfund hatte mich angespornt nach Versteinerungen und Kristallen zu suchen, und bei jeder Ferienreise bestand ich darauf – nicht gerade zur Begeisterung meiner Eltern –, ganze Schachteln voll von Steinen mit nach Hause zu nehmen. Und doch kam die Zeit, da diese Leidenschaft einer anderen weichen mußte, und zwar zog es mich im Wiener naturhistorischen Museum immer mehr zur Abteilung mit vorgeschichtlichen Funden, sozusagen von den Steinen zur älteren und jüngeren Steinzeit. Von dort führte mich dann ein ziemlich gerader Weg über das alte Ägypten und Griechenland in die abendländische Kunstgeschichte, bei der ich gerade angelangt war, als ich an die Wahl eines Studienfachs denken sollte.
Was wäre aus mir geworden, wenn etwa die geologische Abteilung des Museums nicht an die vorgeschichtliche gegrenzt hätte? Natürlich ist es müßig, sich derartige Gedanken zu machen, aber vielleicht ist es gerade hier, in der Akademie für Sprache und Dichtung, erlaubt, sich einen Zauberspiegel zu erträumen, der uns auch zeigen kann, wie wir hätten sein können. Vielleicht würde ich mich in dem Spiegel als bärtigen, sonnverbrannten Bergingenieur sehen, der irgendwo einen kleinen Lehrauftrag für Mineralogie innehat. Ob als guter oder schlechter Mineraloge läßt sich freilich nicht erkennen.
Nun, in meiner schon erwähnten Rede habe ich auch kurz erzählt, daß ich nach meiner Aufnahme ins kunsthistorische Institut der Wiener Universität dort für die jährlichen Institutsfeste Theaterstücke schrieb. Dabei geschah es, daß das Theaterspielen einem meiner Kollegen soviel Spaß machte, daß er die Kunstgeschichte an den Nagel hängte und Schauspieler wurde, leider kein sehr erfolgreicher.
Was mich betrifft, so war ich weder versucht, seinem Beispiel zu folgen, noch hatte ich weiterhin Gelegenheit, mich als Dramatiker auszuweisen, da ich ja nach England ging, wo mich die Forschungsrichtung der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg ganz in ihren Bann schlug. So weiß ich nicht, ob mir jener Zauberspiegel vielleicht auch einen Schriftsteller und Lyriker zeigen würde, der sogar Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ist. Oder bin ich das wirklich?